Rezension

„Die sieben guten Jahre“ ist ein Buch voller Liebe und Hoffnung

Die sieben guten Jahre - Etgar Keret

Die sieben guten Jahre
von Etgar Keret

Bewertet mit 5 Sternen

Etgar Keret, Die sieben guten Jahre. Mein Leben als Vater und Sohn, S. Fischer 2016, ISBN 978-3-10-049520-4

 

Er zählt zu den bekanntesten und auch beliebtesten Schriftstellern seines Heimatlandes Israel und wird schon seit langem in einem Atemzug mit den Großen wie David Grossman oder Amos Oz genannt.

 

Das neue Buch von Etgar Keret ist ein Wagnis. Zum ersten Mal seit 25 Jahren schreibt er keine Fiktion, sondern er erzählt in etwa drei Dutzend Prosastücken Biographisches und Erlebtes aus einem Zeitraum von sieben Jahren. Diese Jahre zwischen der Geburt seines Sohnes Lev und dem Tod seines Vaters haben dem Buch seinen Titel gegeben. In einem Nachwort schreibt er, warum er das Buch nicht in Israel veröffentlicht sehen wollte: „weil es darum um die Menschen geht, die mir die liebsten auf der Welt sind; weil es mich als Autor in eine neue, nicht vertraute Situation bringt, verletzlich und intim.“  Deshalb wollte er diese Erfahrungen nur mit Fremden teilen. Das Buch wurde ins Englische übersetzt und von dort hat es Kerets Freund Daniel Kehlmann ins Deutsche übertragen.

 

Das Buch beginnt  mit Schilderung einer Art doppelten Geburt. Nicht nur sein Sohn Lev kommt auf die Welt, sondern dieses neue Leben ist mehr, Hoffnung auf Zukunft und Frieden:

 

„Sechs Stunden später fällt ein Zwerg, dem ein Kabel aus dem Bauchnabel hängt, aus der Vagina meiner Frau und fängt sofort an zu weinen. Ich versuche ihn zu überzeugen, dass man sich gar keine Sorgen machen muss. Dass alles im Mittleren Osten geklärt sein wird, wenn er erwachsen ist. Frieden wird kommen, es wird keine weiteren Terroranschläge mehr geben, und sogar, wenn es ganz selten einmal einen geben sollte, wird immer jemand Originelles, jemand mit ein wenig Vision in der Nähe sein, um ihn perfekt zu beschreiben.“

 

Nicht nur an dieser Stelle, sondern das ganze Buch durch die verschiedenen Erzählungen gelingt es Keret wie weiland Ephraim Kishon zu einer anderen Zeit, eine Alltagssituation so zu beschreiben, dass sie auf eine betörende Art komisch wird.

 

Tagebuchartig erzählt er nicht nur von der Entwicklung seines Sohnes, sondern immer wieder auch von seinem Vater. Es ist wie ein nachgeholtes Erwachsenwerden, nicht nur als Mann und Ehemann, sondern auch als Schriftsteller, die er in diesem glücklichen Zeitraum von sieben Jahren erlebt. Dazwischen geht es aber auch immer wieder um die politische Lage in Israel und im Nahen Osten, um die jeden Tag präsente Angst vor Terroranschlägen und feigem Mord.

Keret beschreibt, wie schon auf den Kinderspielplätzen am Rande der Sandkiste, wo er sich als freiberuflicher Vater oft aufhält, die Mütter von kleinen Kindern darüber diskutieren, ob sie es zulassen werden, dass ihre Söhne dereinst den in Israel obligatorischen Militärdienst ableisten werden. Auch seine Frau möchte das nicht und erwidert auf Kerets Einwand, das sei doch eine Bevormundung: „Lieber bevormunde ich ihn, als dass ich in fünfzehn Jahren an einem Militärbegräbnis auf dem Olivenberg teilnehmen muss. Wenn es bevormundend ist, seinen Sohn  daran zu hindern, sein  Leben zu riskieren, dann bin ich eben bevormundend.“

Sie finden einen Kompromiss: Wir würden uns bis zu seinem achtzehnten Lebensjahr darum bemühen, entweder in der Region oder in unserer Familie Frieden zu schaffen.“

 

Kerets Texte erzählen von Erlebnissen auf seinen zahlreichen Lesereisen, von der Kindheit seiner Mutter, einer Holocaustüberlebenden in Polen, von seinem Sohn, den er beschützen will und von seinem Vater und dessen Sterben und Tod. An einer sehr berührenden Stelle erzählt er, wie er auf einer Reise nach Los Angeles vier Wochen nach dem Tod seines Vaters erlebt, dass er tatsächlich in seine Schuhe passt. Das ist ihm wie ein Beweis, dass alles gut wird.

 

Zwischen ernsthafter Tiefsinnigkeit, die den Leser im Innersten berührt, wechselt Keret oft auf derselben Seite zur Komik und Groteske, die dem zuvor Tragischen etwas Leichtes und Schwebendes zu geben vermag.

 

Vielleicht kann man heute in Israel auch nur so leben ohne zynisch und verbittert zu werden – oder auszuwandern.  „Die sieben guten Jahre“ ist ein Buch voller Liebe und Hoffnung.