Rezension

Die Spiele sind eröffnet

Die Arena - Stephen King

Die Arena
von Stephen King

Bewertet mit 4 Sternen

Ich glaube, jede Lektüre hat ihre Zeit. Offenbar gilt das auch für das Schreiben. Stephen King brauchte über 30 Jahre, um „Die Arena“ zu vollenden. Im Nachwort meiner Ausgabe erklärt er, dass ihn die Idee einer von der Gesellschaft abgeschnittenen Gemeinschaft bereits seit 1976 beschäftigte. Damals begann er ein Manuskript mit dem Titel „Under the Dome“, das er zwei Wochen später nach ca. 75 Seiten abbrach. Die technischen Details seiner Geschichte und der immense Rechercheaufwand überforderten ihn – er hatte Angst, es zu vergeigen. Er ließ die Idee ruhen. 1982 versuchte er einen anderen Ansatz und schrieb ca. 450 Seiten von „The Cannibals“, ließ aber auch diesen Entwurf unvollendet. Erst 2007 engagierte er Russ Dorr gezielt als Hauptrechercheur, um „Under the Dome“ noch einmal in Angriff zu nehmen. Diese Zusammenarbeit entpuppte sich als fruchtbar und resultierte 2009 in „Die Arena“. Die Annahme, der „Simpsons“-Film hätte King zu diesem Mammutroman inspiriert, ist also nachweislich falsch. ;-)

Ihr Erscheinen verursachte kein Geräusch. Sie ist transparent, aus einem unbekannten Material. Sie ist durchlässig für Wind und minimale Wassermengen, aber unzerstörbar. Sie reicht hoch in den Himmel und tief in die Erde. Sie trennt Familien, Ehepaare, Freunde. Die Kuppel umschließt das gesamte Stadtgebiet von Chester’s Mill und verwandelt die ganz normale Kleinstadt in Maine in den Schauplatz eines nie dagewesenen, unerklärlichen Phänomens. Niemand weiß, woher die Kuppel kommt, welchen Zweck sie erfüllen soll oder wie man den Menschen im Inneren helfen kann. Die Bevölkerung von Chester’s Mill ist auf sich selbst gestellt. Eingesperrt und abgeschnitten vom Rest der Welt entbrennt unter der Kuppel ein erbitterter Kampf ums Überleben, in dem es nicht ausschließlich um Vorräte geht. Denn einige sehen die Kuppel nicht als Gefängnis, sondern als Gelegenheit, ihre persönlichen Ziele durchzusetzen – ohne Rücksicht auf Verluste…

Meine Ausgabe von „Die Arena“ umfasst 1.276 Seiten. Es ist ein richtig dicker Wälzer und als ich im März 2020 begann, das Buch zu lesen, dachte ich bereits mit Grauen an die anschließende Rezension, weil besonders umfangreiche Werke es mir erfahrungsgemäß schwer machen, sie innerhalb meines festgelegten Rahmens zu besprechen. Am Ende der Lektüre waren meine Sorgen wie weggeblasen. Alles, was es inhaltlich über „Die Arena“ zu sagen gibt, steht IN „Die Arena“. Aus analytischer Sicht ist es ein äußerst dankbares Buch, das die gefürchtete Frage, was uns der Autor sagen will, direkt beantwortet, denn Stephen King lässt die Figuren selbst analysieren und interpretieren, was ihnen geschieht, wodurch jegliche Symbolik sofort eine Einordnung erhält. Man sollte meinen, dass diese Transparenz der Geschichte dabei im Weg steht, ihre unheilvolle Wirkung zu entfalten, aber nein, genau das Gegenteil ist der Fall, was mich sehr beeindruckte. King nutzt das Bewusstsein seiner Figuren für ihre verzweifelte Lage geschickt, um die ungeheuerlichen Implikationen und Konsequenzen der Kuppel in Szene zu setzen. Trotz der Einzigartigkeit des Terrors, der sich daraus ergibt, urplötzlich von der Gesellschaft abgeschnitten, aller Ressourcen und der eigenen Freiheit beraubt zu sein, empfand ich die Existenz der Kuppel an sich weniger beklemmend und dramatisch als alles, was unter ihr passiert. Die Kuppel ist weder gut noch böse, sie ist einfach ein Fakt, gegen den kurzfristig niemand etwas unternehmen kann. Die Ereignisse in Chester’s Mill, die Reaktionen der Einwohner_innen auf die Kuppel, haben sie hingegen selbst in der Hand. Ich fand es erschreckend, wie rasant sich die Situation innerhalb der Woche, die das Buch beschreibt, zuspitzt, weil einige Individuen Entscheidungen treffen, die von kleingeistig und egoistisch bis zu skrupellos und bösartig rangieren. „Die Arena“ involviert einen schwindelerregend umfangreichen Cast, dessen komplexe Dynamik meiner Meinung nach wieder einmal beweist, dass Stephen King zurecht der Meister des Horrors genannt wird. Ich fand es höchst faszinierend, wie gekonnt er die Mischung aus Hauptfiguren und peripheren Charakteren einsetzt, um bestimmte Aspekte der Handlung voranzutreiben und die Verhältnisse in Chester’s Mill zu illustrieren. Er bietet eine bunte Vielfalt vielschichtiger Held_innen und Feindbilder jeder Couleur und Größenordnung an, die emotionale Verbindlichkeit herstellt und dazu einlädt, Partei zu ergreifen – obwohl sich Sympathien in „Die Arena“ sehr schnell ändern können. Dadurch gestaltet sich der Spannungsbogen konsequent und beständig; die Seiten flogen nur so dahin, was für mich in Kings Romanen nicht immer der Fall ist. Natürlich geht es hierbei auch mal richtig zur Sache – Knochen knacken und Blut spritzt, aber nimmt man einen King zur Hand, kann man eben genau das erwarten.

Vielleicht kennt ihr „Die Arena“ bereits als die TV-Serie „Under the Dome“ und glaubt, das Buch hätte keinen Mehrwert für euch. Ich muss widersprechen: Buch und Serie unterscheiden sich drastisch, nicht zuletzt bezüglich der Auflösung, wodurch es sich wirklich lohnt, der literarischen Vorlage eine Chance zu geben. Ich habe ebenfalls zuerst die Serie gesehen und kann euch versichern, ausnahmsweise war diese Reihenfolge für mich komplett richtig. Da ich die wichtigsten Eckpunkte der Geschichte bereits kannte, konnte ich mich stärker auf die vielen, brillanten Details konzentrieren, die es nicht in die Verfilmung geschafft haben. Die Serie half mir hingegen dabei, das Phänomen der Kuppel besser visualisieren zu können, womit ich wahrscheinlich Schwierigkeiten gehabt hätte, hätte ich nur „Die Arena“ gelesen. Die beiden Varianten ergänzen sich hervorragend und können problemlos parallel oder zeitversetzt konsumiert werden. Es ist eines der seltenen Beispiele, die beweisen, dass eine harmonische mediale Koexistenz von Buch und Verfilmung möglich ist – wenn man anerkennt, dass sie unterschiedliche Ansätze verfolgen.