Rezension

Die Story entfaltet ihren eigenen Charme, ist tiefgründiger als gedacht und hat einige Gefühle in mir ausgelöst

My Dear Sherlock - Wie alles begann
von Heather Petty

Also ich finde ja, Sherlock Holmes geht immer, und deshalb musste ich „My Dear Sherlock“ unbedingt lesen! <3 Ich bin ein großer Fan des berühmten Detektivs: Serien, Filme, Bücher … alles muss her. An Weihnachten lag dieses schicke Büchlein dann unter dem Baum und ich bin froh, es endlich von meiner Wunschliste erlöst zu haben. Allein schon das Cover hat mich fasziniert mit dem düsteren London im Hintergrund und einem schnuckeligen Sherlock-Rücken, der auch entzücken kann. :D Aber sehen wir uns das doch genauer an …

Zuerst mal: Das Buch hat mich für ein Debüt echt beeindruckt und überrascht! Ein Schreibstil, der sich flüssig und angenehm liest. Ohne übertriebene Ausschmückungen, auf den Punkt und trotzdem nicht oberflächlich. So hatte ich das Buch in Nullkommanichts inhaliert und wurde rundum gut unterhalten.

Bei den Charakteren war ich natürlich besonders gespannt auf den Mann, der in große Fußstapfen zu treten hat: Sherlock Holmes. Tja, vielleicht waren die Fußstapfen doch ein bisschen zu groß … Sherlock war mir schon sympathisch, aber er wirkte im Vergleich zu seinem Vorbild doch etwas blass und gewöhnlich. Da erwartete ich etwas mehr Extravaganz, Arroganz und Ausgeflipptheit.

Unser jugendlicher Sherlock ist dagegen süß, treu, verlässlich und hat seine Momente, in denen man ihn einfach nur knuddeln möchte. Es gab auch einige Anspielungen, die an den originalen Holmes erinnern, das wusste ich sehr zu schätzen. :) Ab einem gewissen Punkt habe ich beschlossen, ihn als eigenständige Persönlichkeit zu sehen und nicht zu viel mit seinem berühmten Vorbild zu vergleichen. Dann konnte ich ihn mehr schätzen und das Lesen genießen. Ich hätte die Geschichte aber gern zusätzlich aus seiner Perspektive gelesen. Das hätte ihn interessanter gemacht und es wäre ein toller Kontrast zu Moris Sichtweise gewesen.

Perfektes Stichwort, kommen wir direkt zu Mori, unserer Protagonistin. Wir erleben die gesamte Story aus ihrer Sicht in der Ich-Perspektive. Das brachte sie mir sehr nah. Mori ist ein interessanter Charakter, wenn auch sehr eigen. Ich konnte nicht all ihre Entscheidungen nachvollziehen, aber habe trotzdem mit ihr mitgelitten und -gefühlt. Sie enthält Sherlock viele Informationen vor, zickt ihn an und behandelt ihn ungerecht, obwohl er total geduldig mit ihr ist. Sherlock tat mir oft leid, weil er es mit ihr aushalten muss. :D Die Lovestory ist sehr süß und herzerwärmend. Sie schreitet etwas schnell voran, aber die zwei passen gut zusammen und als passioniertes Paar haben sie mich überzeugt.

Ich dachte, wenn ein Buch mit den Namen Sherlock und Moriarty wirbt, würde es viel zum Miträtseln geben und der Fall würde im Vordergrund stehen, aber dem war nicht so. Es geht eher um die Charaktere und der Fall läuft nebenher. Im Mittelpunkt stehen Moris Beziehungen zu Sherlock, ihrer verstorbenen Mutter, ihrem gewalttätigen Vater und ihrer (ex)besten Freundin Sadie. Die Hauptthemen sind der Tod von Moris Mutter und die daraus resultierenden Familienprobleme. Ihr Vater ertränkt seine Trauer im Alkohol und schlägt Mori und ihre Brüder immer wieder. Das hat mich so unglaublich wütend und traurig gemacht und es fiel mir schwer, diese Szenen zu lesen.

Die Gewalt in der Familie wird unverblümt geschildert und intensiv beleuchtet, was ich für ein Jugendbuch erstaunlich fand. Dort wird ja manchmal zum Schutz der jungen Leser einiges nur angedeutet, aber hier nicht. Sehr mutig, dass die Autorin dieses wichtige und traurige Thema aufgreift. Dafür hat sie auf jeden Fall meinen Respekt! Auch Mori verdient meinen Respekt. Sie ist so unglaublich stark für ihre Brüder und setzt sich gegen ihren Vater zur Wehr, auch wenn sie ihm körperlich unterlegen ist. Ich habe ihr zugejubelt und sie angefeuert und alles, was sie einstecken musste, tat mir genauso weh.

Leider war mir der Krimifall zu einfach und vorhersehbar gestrickt, da hatte ich mir mehr gehofft. Es gab keine großen Überraschungen oder Wendungen und miträtseln war nur bedingt möglich. Die Story schreitet aber spannend voran und das Ende hat mich besonders gefesselt. Es bleiben noch viele Fragen offen, die hoffentlich im Folgeband beantwortet werden, und es gibt noch ein bisschen Luft nach oben. Ich hatte schon wilde Vermutungen angestellt, die sich leider nicht bewahrheitet haben, und das Finale fiel etwas unspektakulärer aus als erhofft (jedenfalls was die Story angeht). Emotional war es eine wahre Wucht und hat einen bleibenden Eindruck hinterlassen.

Fazit: Man sollte diese Sherlock-Holmes-Neuinterpretation als eigenständige Geschichte betrachten und nicht zu viel vergleichen, dann kann man das Lesen genießen. Sie entfaltet ihren eigenen Charme, ist tiefgründiger als gedacht und hat einige Gefühle in mir ausgelöst. Die vielschichtige Protagonistin dominiert die Story, dabei kommen der Krimifall und das Rätselraten etwas zu kurz. Mit einem charismatischeren Sherlock und einer überraschenderen Auflösung hätte das hier der absolute Knaller werden können! So bleibt mir vor allem Moris heftige Familiengeschichte im Gedächtnis. Das ist mir satte 4 Sterne wert und ich habe direkt mit Band 2 weitergemacht, von dem ich mir ein paar Antworten und Überraschungen erhoffe …