Rezension

Die Suche nach der eigenen Identität

Die verschwindende Hälfte - Brit Bennett

Die verschwindende Hälfte
von Brit Bennett

Bewertet mit 4 Sternen

In Brit Bennetts neuem Roman   “Die verschwindende Hälfte“ geht es um die Geschichte einer Familie im fiktiven Ort Mallard im ländlichen Louisiana über einen Zeitraum von fast 60 Jahren. Hier werden in den 40er Jahren die eineiigen Zwillinge Desiree und Stella Vignes geboren. In diesem Ort leben seit Generationen Farbige, die immer hellhäutiger werden. Als Kinder werden die Mädchen Zeugen des Lynchmords an ihrem Vater. Mit 16 Haben sie nur einen Wunsch: diesen Ort zu verlassen. Sie gehen heimlich nach New Orleans, wo sie Unterkunft und Arbeit finden. Stella geht bei einer Bewerbung um einen Bürojob als Weiße durch, und bald werden sich ihre Wege trennen. Stella entscheidet sich für ein Leben als Weiße, zahlt jedoch einen hohen Preis dafür. Sie bricht den Kontakt zu ihrer Familie ab, wobei vor allem die Trennung von der geliebten Schwester schmerzlich ist. Von da an wird ihr ganzes Leben auf einer Lüge aufgebaut sein. Sie heiratet einen weißen Banker und bekommt die blonde Tochter Kennedy mit den violetten Augen. Niemals spricht sie über ihre Vergangenheit und behauptet, ihre Angehörigen seien tot. Desiree geht einen anderen Weg. Sie heiratet einen sehr dunkelhäutigen Farbigen und bekommt die blauschwarze Tochter Jude. Nach Jahren flieht sie mit der Tochter vor ihrem gewalttätigen Ehemann und kehrt nach Mallard zurück. Hier spürt sie der Jugendfreund Early auf, der sie im Auftrag seines Chefs suchen soll, verrät sie aber nicht. Während Kennedy das Leben einer reichen Weißen lebt und zu einer ziemlich erfolglosen Schauspielerin wird, bemüht sich Jude um einen Schulabschluss und beginnt schließlich mit Hilfe eines Sportstudiums mit 10 Jahren Verspätung ein Studium an der UCLA. Zufällig begegnen sich sie Kusinen und Jude erkennt Mutter und Tochter, weil Stella Desiree noch immer wie aus dem Gesicht geschnitten ist. Bei einem Streit konfrontiert Jude Kennedy mit ihrer wahren Herkunft und der Geschichte ihrer Familie. Kennedy stellt ihre Mutter zur Rede, die aber alles leugnet. Kennedy ist sich jetzt sicher, dass ihre Mutter ihr über all die Jahre nur Lügen erzählt hat. In der zweiten Hälfte des Romans läuft alles auf die unwahrscheinliche Wiederbegegnung der Schwestern hinaus, aber wie könnte die wohl aussehen?

Neben der brandaktuellen Thematik des in den USA noch immer allgegenwärtigen Rassismus behandelt der Roman viele weitere Themen: Liebe und Verrat,  Lügen und Geheimnisse, Herkunft und Hautfarbe, die Suche nach der eigenen Identität, Transsexualität und die historischen Meilensteine der amerikanischen Geschichte, wie zum Beispiel  die Fakten der Rassentrennung und  die Morde an King und den Kennedys. Die generationsübergreifende Familiengeschichte ist wegen der vielen Zeitsprünge und Rückblenden nicht immer leicht zu lesen, und manchmal fällt die zeitliche Einordnung von Episoden schwer. Da scheitert auch der Verfasser des Klappentextes. Die Zwillinge können nicht in den 50er Jahren geboren sein, wenn Desiree 1968 mit ihrer 8jährigen Tochter Jude nach Mallard zurückkehrt. Mich hat der Roman sehr gefesselt, und ich halte ihn für einen der interessantesten der letzten Zeit.