Rezension

Die U-Bahn als tägliche Bühne

Die Sehnsucht des Vorlesers
von Jean-Paul Didierlaurent

Bewertet mit 5 Sternen

Guylain Vignolles nimmt jeden Tag um 6 Uhr 27 die U-Bahn, um zu seiner Arbeitsstelle zu kommen. Dabei sitzt er immer auf dem selben Platz und liest vor. Keine langen und zusammenhängende Werke sondern seine Schätze, die er der Zerstör entrissen hat. Die Zerstör verdient ihren Namen: Sie zerstört Bücher, um daraus Papierbrei und neues Papier zu machen. Wenn er Seiten, die die Maschine nicht erwischt, mit nach Hause nimmt, erlebt er seine eigene kleine Rebellion. Seine Freunde Guiseppe und Yvon reißen ihn aus seinem gewöhnlichen Alltag.
Sein Leben hat einen Rhythmus und er scheint gefangen. Bis er einen roten USB Stick findet. Darauf entdeckt er eine Geschichte, die so ungewöhnlich ist, dass er wissen möchte, wer sie verfasst hat. 
Meine Meinung:
Mit diesem Buch habe ich wieder einmal unter Beweis gestellt, dass ich ein leichtes Opfer für schöne Cover, Titel und Klappentexte bin. 
Eigentlich wurde ich noch ganz selten enttäuscht durch diese Spontankäufe, so auch dieses Mal.
Die Geschichte ist nicht gerade extra lang und dennoch gelingt es dem Autor mit äußerst ungewöhnliche Figuren zu punkten. 
Allen voran wäre da Guylain, der seinen Job hasst, mit einem Goldfisch seine Wohnung teilt und seine Mutter belügt. Der komplett durchschnittlich erscheint, aber täglich in der U-Bahn laut vorliest. Eigentlich tut er das ohne Hintergedanken oder Absichten, aber er verändert dadurch das Leben anderer.
Seine ehemaliger Arbeitskollege Guiseppe, der nach einem tragischen Unfall beide Beine verloren hat und jetzt in einem Rollstuhl auf einer geheimnisvollen Suche ist.
Yvon arbeitet mit Guylain zusammen und sein Gedächtnis ist phänomenal, genauso wie seine Erscheinung, wenn er aus diversen klassischen Theaterstücken rezitiert. 
Eigentlich könnte damit die Geschichte recht langweilig sein, aber weit gefehlt. Sie überzeugt durch witzige Ideen, kluge Bemerkungen, Weisheiten und Sprüche, die niemals lehrhaft wirken sondern einem ein Lächeln ins Gesicht zaubern und manches Mal auch lauthals auflachen lassen. 
Die kleine Liebesgeschichte, die in der Beschreibung angedeutet wird, streckt tatsächlich ihre zarten Fühler aus