Rezension

Die Unglaubwürdigkeit vermiest das Leseerlebnis

Nashville oder Das Wolfsspiel - Antonia Michaelis

Nashville oder Das Wolfsspiel
von Antonia Michaelis

Bewertet mit 2.5 Sternen

Was war denn das? Antonia Michaelis und unglaubwürdig? Wie man hier sieht: Das geht leider...

Und dann saßen sie auf Klappstühlen zwischen hochstieligen Blumen, die waren wie kleine Sonnen, und aßen Torte. Nashville beobachtete Julietta, die durch die Menge ihrer Gäste schwebte.
"Sie ist so schön", sagte Svenja.
"Ich habe dir das schon mal gesagt", meinte Nashville, beinahe ärgerlich. "Du bist schöner. Sie ist Regen, und du bist Sonne. Guck bloß mal deine Schuhe an. Und ich wette, dass sie in diesem Kleid keinen Kopfstand machen kann."
"Nashville", sagte Svenja. "Ich mag dich sehr."

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INHALT:
Um ihr Leben endlich in die eigene Hand zu nehmen und sich selbst zu finden, zieht die 18-jährige Svenja von zuhause aus, um in Tübingen weiter zu studieren. Im Schrank ihrer neuen Wohnung macht sie jedoch erst einmal eine interessante Entdeckung: Denn darin steht ein Junge - und zwar auf dem Kopf. Eine seiner liebsten Beschäftigungen, wie sie bald herausfindet, denn sie behält ihn bei sich. Laut ihm sieht man dann vieles anders. Anders wird auch ihr Leben, als plötzlich Morde geschehen, immer wieder, und immer an Obdachlosen. Und Nashville, wie Svenja ihn genannt hat, scheint irgendetwas damit zu tun haben...

MEINE MEINUNG:
Antonia Michaelis' Jugendthriller sind bei der Leserschaft aufgrund ihrer tiefgehenden Themen und der besonderen Schreibweise sehr beliebt - so auch bei mir. "Der Märchenerzähler" wie auch "Solange die Nachtigall singt" habe ich verschlungen, also war es keine Frage, dass ich auch "Nashville" lesen musste. Wie immer ist der Schreibstil sehr bildhaft und metaphorisch, während die Autorin auf sehr atmosphärische Art mit Gegensätzen und Vergleichen spielt. Erzählt wird die Geschichte dabei aus der personalen Sicht der Protagonistin Svenja, zum Ende hin kommt aber auch drei Mal eine andere Figur zu Wort.

Svenja ist, das muss man so sagen, eine sehr schwierige Hauptperson. Zwar kann man ihren Drang nach Selbstbestimmtheit und einem eigenen Leben durchaus verstehen - ihre Methoden sind dann aber sehr radikal [indem sie sich zum Beispiel fast nie bei ihren Eltern meldet] und vor allem verantwortungslos [weil sie sich die Nächte um die Ohren schlägt und vor allem anfangs selten zur Uni geht]. Mit der Zeit beginnt sie auch noch, mit jedem Kerl, der nicht bei 3 auf den Bäumen ist, Sex zu haben [am Ende kommt man auf 4] und ihre Art, mit ihren Freunden umzugehen, kann man bestenfalls als "ausnützend" beschreiben. Sie ist einem nicht unsympathisch, das nicht, ich zumindest konnte mich jedoch kein bisschen mit ihr identifizieren.

Natürlich sind Stammleser von Antonia Michaelis durchaus skurrile Figuren gewohnt und eigentlich wollen wir von genau diesen auch lesen. Hier nimmt das Ganze aber fast schon überhand. Friedel, mit dem sich Svenja als erstes anfreundet, ist hauptsächlich chaotisch und außerdem ein Trinker; Kater Carlo und Thierry sind zwar schwul, aber irgendwie auch nicht; Love Interest Gunnar ist müde und strebt nach einem nicht zu erfüllenden Ideal; und Nashville ist schweigsam, metaphorisch und seltsam. Viele der Figuren schließt man trotzdem ins Herz, insbesondere letzteren, das heißt aber nicht, dass man sie im wirklichen Leben auch unbedingt treffen wollen würde.

Spannend ist der Roman dafür durchweg. Nicht nur die wunderbaren Umgebungs- und Personenbeschreibungen, die die Autorin liefert, auch die vielen Geheimnisse, denen man auf die Spur kommen will, tragen dazu bei, dass man von Anfang bis Ende gefesselt ist. Und die Geschichte geht nicht nur in die Tiefe, sondern hat auch ihre leichten Momente, in denen man durchaus grinsen kann - insbesondere, wenn Friedel einen seiner berühmten schlechten Witze macht. Das Problem ist leider einfach, dass irgendwann die Glaubwürdigkeit auf der Strecke bleibt. Nicht nur ist wirklich jede männliche Person an Svenja interessiert, mindestens drei davon lieben sie auch, außerdem sind von sechs Freunden ganze drei homosexuell, und ausnahmslos jede Figur hat irgendein Problem.

Hinzu kommt, dass ich schon beim ersten Auftreten des späteren Täters wusste, dass er der Gesucht ist. Gut, zugegeben, ein langes Rätselraten gibt es bei den Büchern der Schriftstellerin nie, da sie sich leider an das gleiche Profil hält, dennoch, ein bisschen mehr hätte da kommen können. Dagegen ist das Finale dann zwar wieder grandios geschrieben, absolut spannend und zum Fingernägel kauen atmosphärisch - die schlappe Auflösung ist dann aber doch ein bisschen eine Enttäuschung. Da mag das leicht offene Ende, das zu einigen moralischen Fragen führt, noch so klasse sein - nach dem langen Vorspann hätte ich da letztendlich irgendwie noch mehr erwartet.

FAZIT:
"Nashville oder Das Wolfsspiel" lebt, wie auch die anderen Bücher von Antonia Michaelis, vor allem von dem grandiosen Schreibstil und den sehr besonderen Persönlichkeiten - diese sind hier an mancher Stelle aber schon etwas zu skurril. Zudem war mir die Story an vielen Stellen zu unglaubwürdig, und den Täter kannte ich von Anfang an. Mit diesem Roman hat mich die Autorin leider sehr enttäuscht - ich hoffe, dass das beim nächsten wieder besser wird. 2,5 Punkte.