Rezension

Die Unzuverlässigkeit von Familienlegenden

Vati
von Monika Helfer

Bewertet mit 3.5 Sternen

Monika Helfer betreibt in „Vati“ die Suche nach der Wahrheit in ihrer eigenen Familiengeschichte weiter. Es geht um eine Biografie, die eng mit Armut, Krieg und Anderssein verflochten ist, und die vergleichsweise sachlich und mit einer Portion Melancholie erzählt wird. Die Autorin versucht sich einem Vater anzunähern, der über lange Strecken kein Vater war.

Das Besondere an ihren Büchern („Die Bagage“ & „Vati“) ist, dass es ihr nicht nur um eine Nacherzählung des selbst Erlebten, sondern immer auch um Reflektionen der eigenen Wahrnehmung, der Subjektivität von Erinnerung und das Hinterfragen aller Familienmythen geht. Entsprechend wird nicht chronologisch, sondern mittels Sprüngen in die Gegenwart, in das eigene Denken oder in Gespräche mit anderen Zeitzeugen erzählt.

Noch etwas Besonderes ist ihre minimalistische Sprache, der meines Erachtens in sparsamen Worten gelingt, Bilder zu schaffen, für die Andere seitenweise Adjektive und lange Beschreibungen brauchen. Das Gleiche gilt für die Kennzeichnung der Charaktere.

Letztlich bleibt es Geschmackssache, ob man lieber solch eine reduzierten Sprachstil liest oder es opulenter mag, auch emotionaler vielleicht. Wobei ich es eher als Verdienst sehe, die eigene Familie aus der Distanz zu betrachten und beschreiben zu können – einen Schritt zurückzutreten und nicht alle Familienlegenden unhinterfragt über Generationen weiterzutragen, würde vielen Familien gut tun!
Und eine Familien-Biografie birgt meines Erachtens immer die Gefahr, allzu subjektiv zu wirken - beschönigend, oder auch zu kritisierend - beides kann den Individuen des Familienverbundes dann sehr Unrecht tun, und das immerhin schafft die Autorin zu vermeiden. Es geht hier um Verstehen und nicht um Urteilen! 

So war es schon in „der Bagage“ und so ist es auch hier – meines Erachtens angenehm anders!

Was allerdings hier zum Problem wird: der Vater von Monika Helfer war vor allem ein „abwesender Vater“ und von Abwesenheit, die kaum zu greifen ist, zu erzählen, ist schwer. Dadurch geraten Teile der „Bagage-Geschichte“ streckenweise derart in den Vordergrund, dass mir der Vater bis zum Schluss seltsam fremd blieb, und das Vaterthema stellenweise zu sehr verloren ging.

Der zweite Vorwurf, den ich „Vati“ - im Vergleich zum Vorgänger - machen muss, ist die mangelnde Poesie und ein fehlendes „Gesamtkonzept“, das über die Familien-Erzählung hinausgeht. Bei „der Bagage“ gab es da was, da waren die Themen Schönheit & Außenseitertum derart zentral, dass ich mir sicher war: hier geht es nicht nur um Familiengeschichte, hier bekomme ich, auch literarisch, „mehr“.

Das ist bei „Vati“ leider nicht der Fall, die poetischen Anklänge fehlen fast ganz, was mir das Buch -über die reine Nacherzählung hinaus- bietet, blieb mir leider verborgen. Deshalb Punktabzug und ein gewisses „schade!“

Lesenswert finde ich die Autorin trotzdem, und es wird definitiv nicht mein letztes Buch von Monika Helfer gewesen sein. 3,5 Sterne, die ich gerne auf 4 aufrunde, denn einiges ist eben auch meiner individuellen Erwartungshaltung geschuldet oder schlicht Geschmackssache.