Rezension

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Die vergessene Zeit

Sturz der Titanen - Ken Follett

Sturz der Titanen
von Ken Follett

Bewertet mit 5 Sternen

Geschichte wie live lesen - so etwas kann nur Ken Follett.

Die Geschehnisse in Ken Follett’s „Sturz der Titanen“ beginnen im Jahr 1911 und ziehen sich bis zum Jahr 1924. Der größte Teil der Handlungen finden jedoch in den Jahren des Ersten Weltkrieges 1914-1918 statt.

Obwohl das Thema seit einiger Zeit wieder regelmäßig in den Medien auftaucht (nicht verwunderlich, jährt sich der Kriegsbeginn nächstes Jahr zum 100. Mal) und in einem seiner bekanntesten Abhandlungen als die „Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts“ bezeichnet wird, scheint es mir, als sie diese Zeit und seine Ereignisse irgendwie an mir vorüber gegangen. Im Gegensatz zu machen anderen historischen Begebenheiten, erinnere ich mich kaum noch an den Ersten Weltkrieg als Thema der Geschichtsstunde in der Schule (zugegeben, das ist auch schon etwas länger her). Ich kann mich nicht entsinnen, Filme oder Serien gesehen oder Romane gelesen zu haben, die in dieser Zeit spielten.

Bis plötzlich die Serie „Downtown Abbey“ erschien, die mir diese Zeit etwas näher brachte. Doch so gut sie auch ist, schafft sie nicht das, was Follett’s Roman „Sturz der Titanen“ geschafft hat: Das Interesse daran so zu schüren, dass ich nebenbei über den Ersten Weltkrieg begonnen habe zu recherchieren, welche Ereignisse, sich wie abgespielt haben, welche Figuren real sind (wenn man es nicht schon wusste), was überhaupt sonst zu dieser Zeit in der Welt noch passiert ist. Ja, wie es überhaupt zu dieser Katastrophe kommen konnte.

Letzteres schafft Ken Follett in seiner Geschichte hervorragend. Er lässt seine Figuren die Weltlage aus deren Sicht darstellen, die sei bei Gesprächen kundtun. So erfahren wir durch Earl Fitzherbert und seine Schwester Lady Maud, was für unterschiedliche Auffassungen im englischen Adel zu dieser Zeit herrschen. Die englische Arbeiterklasse wird durch Billy und Ethel Williams vertreten. Auch die deutsche Seite wird durch Walter von Ulrich zu Wort kommen gelassen. Ebenso werden die Verhältnisse in Russland durch Grigori und in den USA durch seinen Bruder Lew Peschkow und den Angestellten im Weißen Haus Gus Dewar näher beleuchtet.

Dabei verwendet Follett den Trick, dass all seine Protagonisten wichtig genug sind, dass sie Einblicke in die wichtigen weltpolitischen Geschehnisse dieser Zeit haben, aber doch nicht so wichtig, dass sie tatsächlich real existierende Figuren sein müssen. Wobei auch diese in diesem Buch durchaus vorkommen. So begegnen wir dem Deutschen Kaiser ebenso, wie Winston Churchill, Lenin oder dem amerikanischen Präsidenten Woodrow Wilson. Das Einstreuen dieser und weiterer historischer Persönlichkeiten verleiht dem Buch eine weitere Prise Glaubhaftigkeit und hat mir persönlich diese Zeit noch etwas näher gebracht.

Natürlich geht es im Roman vordergründig um die Schicksale der Protagonisten. Da diese jedoch in dieser Zeit leben, werden ihre Charaktereigenschaften und ihre Handlungen stark vom weltpolitischen Geschehen beeinflusst. So ist der Konflikt zwischen Earl Fitzherbert und seiner Schwester Lady Maud sicher eine der interessantesten im Buch. Der Adlige Fitzherbert will seine Rechte als Lord natürlich nicht verlieren. Obwohl er kurz vor dem Ersten Weltkrieg noch ein wenig liberaler eingestellt zu sein scheint, wandelt sich im Laufe des Krieges seine Einstellung komplett, als er sich durch die Revolution in Russland seiner Rechte und Besitztümer bedroht fühlt. Ganz anders seine Schwester, die seit jeher davon träumt, dass die Frauen mehr Rechte – unter anderem das Recht zu wählen – bekommen. Sie sieht im Krieg, den sie von Anfang an abgelehnt hat, und das auch, weil sie sich in einen deutschen Adligen verliebt hat, die Chance, für die Frauen mehr Rechte zu erstreiten.

Als absolut spannend fand ich ebenfalls die Ereignisse in Russland. Hier wollte das Volk weg vom despotischen Zar, und plant eine Revolution durch das Volk, die durch die bolschewistische Partei Lenins Aufschwung bekommt. Am Charakter von Grigori Peschkow sieht man sehr schön, wie diese Revolution damals möglich war. Als einfacher Arbeiter und Soldat hatte man kaum Rechte, ja, man bekam, obwohl man das Vaterland verteidigte, nicht mal etwas Ordentliches zu essen. Er begehrte mit vielen anderen Gleichgesinnten dagegen auf und kletterte rasch die Karriereleiter in der bolschewistischen Partei hoch. Nicht nur einmal hat Grigori gegen Ende seine eigenen Ideale verraten, um sie dem Ziel der Bolschewiken unterzuordnen. Was letztlich daraus wurde, wissen wir alle. In diesem Roman erleben wir ganz nebenbei die Geburtsstunde der Sowjetunion.

Der Titel des Buches verrät es schon: Sturz der Titanen („Fall of Giants“ im Original). Die Protagonisten des Buches werden hier von Follett als Vermittler der Geschehnisse einer – zumindest für mich – fast vergessenen Zeit eingesetzt.

Und das gelingt ihm in meinen Augen mal wieder hervorragend, so dass ich mich bereits jetzt auf die Fortsetzung „Winter der Welt“ freue.