Rezension

Die Verlangsamung

Ein Jahr voller Wunder - Karen Thompson Walker

Ein Jahr voller Wunder
von Karen Thompson Walker

Bewertet mit 4 Sternen

~~Wem kam nicht schon einmal der Gedanke, ein Tag müsste einfach länger dauern angesichts der ganzen Dinge, die zu erledigen und zu erleben wären. Dass dieser Wunsch gar nicht so einfach wäre, zeigt sich in Karen Thompson Walkers Roman auf eindrucksvolle Weise. Aus ungeklärter Ursache verlangsamt sich darin die Erdrotation, Tage und Nächte werden zunehmend länger, zunächst Minuten, dann Stunden, schließlich Tage. Die Auswirkungen dieser Veränderungen sind erschreckend. Zunächst sterben die Vögel, dann die Bäume, die Wale...Bald lassen sich Lebensmittelpflanzen nur noch in künstlich beleuchteten Gewächshäusern heranziehen. Nur der Mensch vermag sich - zunächst noch - irgendwie anzupassen. Nach anfänglicher Panik wird das Leben noch möglichst lange möglichst so weiter geführt, wie es immer war, man geht zur Arbeit/Schule, treibt Sport, führt ein Familienleben. So geht es auch der knapp 12jährigen Julia. Sie hat mit den selben Problemen zu kämpfen wie unzählige ihrer Altersgenossinnen: Verlust langjähriger Freundin, erste Liebe, auseinanderbrechende Ehe der Eltern, Einsamkeit, Angst vor Ausgrenzung. Dabei ist es der Autorin gut gelungen, die Perspektive der jungen Protagonistin überzeugend einzunehmen. In ruhigem, unaufgeregtem Stil erzählt sie - rückblickend  - von den Ereignissen. Dabei verwendet sie vielleicht etwas zu häufig das Stilmittel des Vorausgriffs, zu oft steht im Text "aber das konnten wir erst später wissen", "ich sollte sie nie wiedersehen" , "das war das letzte mal, dass..." Auch ohne verliert sich nicht die Spannung, wie die Ereignisse weitergehen werden. Und das auf völlig unspektakuläre Art. Denn es zeichnet den Menschen ja aus, dass er solange es geht irgendwie so weiterwurschtelt, sich anpasst. Was ihn aber leider auch auszeichnet, ist die Tendenz, sich zu Gruppen zu formieren und Minderheiten auszugrenzen. Das zeigt sich, nachdem die Regierungen der Welt beschlossen haben, die Uhrenzeit beizubehalten, auch wenn nun keine Übereinstimmung von Tageszeit und Helligkeit bzw. Dunkelheit mehr besteht. So fährt man halt im Stockdunklen in die Schule und versucht bei gleißender Mittagshitze zu schlafen. Eine Minderheit der Menschen leben immer noch - zunehmend schwerer - nach der Echtzeit mit Tagphasen von 20, 30, schließlich noch mehr Stunden. Aber anstatt diese einfach so leben zu lassen, werden die "Echtzeitler" ausgegrenzt, beschimpft, verfolgt. Diese unterschiedlichen Versuche, dass Leben irgendwie aufrecht zu erhalten, die Auswirkungen der Verlangsamung - auch wenn sie sicher ein wenig zu oberflächlich, zu zentriert auf Kalifornien - aber hier spricht nun mal eine damals 11jährige - sind -, haben mich sehr interessiert und auch gefesselt. Und der Schluss hat mich überrascht und gerade in seiner Offenheit überzeugt. Das Buch hat eine tolle Ausgangsidee und setzt sie auch gelungen um, auch als Jugendbuch uneingeschränkt empfehlenswert!