Rezension

Die Verlockung des Vergessens – Intelligent spielende Perspektiven

Into the Water - Traue keinem. Auch nicht dir selbst. - Paula Hawkins

Into the Water - Traue keinem. Auch nicht dir selbst.
von Paula Hawkins

Bewertet mit 3 Sternen

Als Nel Abbott tot im Fluss aufgefunden wird, kehr Jules nach Beckford zurück, um sich um ihre Nichte zu kümmern. Nie wieder wollte sie zurück an diesen Ort, in das Haus ihrer Familie, das am Ufer des dunklen Flusses liegt, in der Nähe des Drowning Pools, der furchtbare Erinnerungen heraufbeschwört. Nele sei gesprungen, heißt es, doch Jules ist gewiss, dass Nele niemals in das geliebte Wasser gesprungen wäre.

Die Autorin:

Paula Hawkins wuchs in Simbabwe auf. 1989 zog sie nach London, wo sie bis heute lebt. Sie arbeitete fünfzehn Jahre lang als Journalistin, bevor sie mit dem Schreiben von Romanen begann. Ihr erster Spannungsroman Girl on the Train wurde zu einem internationalen Phänomen. Der Roman wurde in über 40 Sprachen übersetzt, eroberte weltweit die Bestsellerlisten und wurde 2016 mit Emily Blunt in der Hauptrolle verfilmt. (Quelle: Blanvalet Verlag)

Reflektionen:

Nach Girl on the Train ist Into the Water der neue Spannungsroman von Paula Hawkins. Der als solcher im Genre Roman publiziert ist.

Girl on the Train hatte mich seinerzeit nicht vollkommen überzeugt, doch ich war mir sicher, dass ein zweiter Roman von Paula Hawkins literarisch sicher ausgereifter und noch intensiver sein würde. Dementsprechend waren meine Erwartungen an diesen Roman sehr hoch.

Nach wenigen Seiten schlägt der Wiedererkennungswert Paula Hawkins Stils gnadenlos zu. Absolut im gleichen Stil und Ausdruck, beginnt sie die Geschichte der beiden Schwestern Nel und Jules Abbott zu erzählen.

Julia, ich bin’s. Du musst mich zurückrufen. Bitte Julia. Es ist wichtig. Du musst mich so bald wie möglich anrufen, in Ordnung? Ich ... äh ... Es ist wichtig. Okay. Ciao. (Zitat)

Nel, die tot im Fluss aufgefunden wird, liebte den Fluss ohnegleichen. Tagtäglich, bei Wind und Wetter, schwamm sie in seinen Fluten. Fast mystisch fühlte sie sich zu ihm hingezogen und sie beabsichtigte, seine geheimnisvolle Geschichte aufzuschreiben. Doch diese Geschichte erzählt auch von den toten Frauen und Mädchen, die sich in seine Fluten stürzten. Nels Recherchen brachten fast den ganzen Ort gegen sie auf, doch davon ließ sie sich nicht beirren. Bis ins 16. Jahrhundert reichten ihre Nachforschungen zurück, die mystische, brutale Rituale offenlegten.

Manche meinen, die Frauen hätten dem Wasser etwas von ihrem Wesen überlassen, andere behaupten, der Fluss selbst hätte sich etwas von ihrer Macht bewahrt, denn seither zieht dieser Ort die Glücklosen, die Verzweifelten, die Verzagten, die Verlorenen an. Sie alle kommen hierher, um mit ihren Schwestern zu schwimmen. (Zitat)

Als Nel, die Spirituellem nicht abgeneigt war, stirbt, kehrt Jules ins Haus der Familie zurück. Sie ist sich gewiss, dass Nel auf Grund ihrer Verbundenheit zum Fluss niemals gesprungen wäre. In Zwiesprache mit Nel durchlebt sie so alte Erinnerungen, leidet unter großen Ängsten, Schmerz, einem schlechten Gewissen und sie muss sich der Missgunst und Wut Nels Tochter Lena stellen.

Paula Hawkins hat ihren Roman psychologisch geschickt aufgebaut, sodass ein gewisser Sog zunächst das Tempo des Lesens bestimmt. Anfangs treibt die Neugierde durch die Seiten, denn der Einstieg ist mehr als rätselhaft und scheint zunächst undurchschaubar. Als Leser benötigt man viel Fantasie und langanhaltendes Interesse, sowie die Bereitschaft unermüdlich Zusammenhänge erkunden zu wollen, um letztendlich spekulierend einen roten Faden greifen zu können. Persönliche Interpretationen von Sätzen, Absätzen und Kapiteln sind gefragt, bis man feststellt, dass sich die Autorin in zu vielen nichtig wichtigen Nebenschauplätzen verliert. Müßig und schwerfällig wird das Lesen, wenn man erkennt, Perspektive für Perspektive, erneut in weiten, nebensächlichen Ausschweifungen festzuhängen.

Eine wenn auch gelungene, mystisch, rätselhafte und düstere Grundstimmung reicht nicht aus, um zu fesseln, wenn eine ordentliche Portion literarischen Pfeffers fehlt. Spannungshöhepunkte fehlen fast gänzlich, obwohl sie als Pfeiler des Spannungsromans unabdingbare Elemente wären.

Paula Hawkins zeichnet ihre Charaktere hinreichend intensiv, vielschichtig und gut. Sie erlaubt dadurch einen sehr tiefen Blick in die Seelen der einzelnen Persönlichkeiten und eröffnet dadurch das Verständnis nachvollziehbarer Motivationen von Handlungen und Denkweisen. Aber diese ausgeprägt ausführliche Zeichnung macht nicht wett, dass uninteressantes, rückblickend, ellenlang beleuchtet wird.

Sehr gut hingegen ist Paula Hawkins intelligentes Spiel der Perspektiven. Großartig in Szene gesetzt wirken die wechselnden Perspektiven enorm. Die Figuren erhalten Präsenz und mit dem Perspektivwechsel läuft die Geschichte weiter. Die Story wird nicht abwechselnd aus Sicht einer Figur erzählt, sondern sie wird von der nächsten Figur/Perspektive vorangetrieben.

Die Grundidee von Into the Water ist interessant, aber die Umsetzung ist alles andere als überzeugend.

Fazit und Bewertung:

Into the Water ist ein intelligentes Spiel der Perspektiven, dass den geschickten psychologischen Aufbau unterstreicht. Wer bereit ist unermüdlich Zusammenhänge erkunden zu wollen, zu spekulieren und stetig zu interpretieren, der könnte mit diesem Roman einen Lesegenuss empfinden, wenn er über Längen hinwegsieht und das Verlieren in Nebenschauplätzen akzeptiert.

©nisnis-buecherliebe