Rezension

»Die Verratenen« hingegen wartet mit unvorhersehbaren Wendungen und gewieften Charakteren auf

Die Verratenen
von Ursula Poznanski

Ria gehört zur Elite. Sie belegt den siebten Platz in der Reihung der besten Studenten und einer erfolgreichen Karriere in einer Führungsposition steht nichts mehr im Wege. Ihr Fachgebiet ist Rhetorik. An einer der renommiertesten und größten Akademien des Sphärenbundes wurde sie dazu ausgebildet, ihre Zuhörer zu manipulieren. Sie überzeugt sie von ihren Aussagen oder bewegt sie zu Handlungen. Außerdem wurde sie darauf trainiert, ihren Gegenüber zu lesen: Ein Blinzeln, eine nervöse Hand oder ein angespannter Unterton in der Stimme und Ria hat dich durchschaut.

Ria ist Teil eines Systems. Ein System, das sie nährt und kleidet, das sie formt und schützt. Ein System, das funktioniert. Ein System, auf das Ria vertraut. Doch dann belauscht sie ein Gespräch, in dem sie des Verrats bezichtigt wird. Ria und fünf weitere Studenten sollen eine Verschwöung planen und ohne Gerichtsverhandlung eliminiert werden. Gerade eben war sie noch eine der beliebtesten Studenten, jetzt ist sie auf der Flucht.

Doch damit nicht genug. Mit der Flucht aus den Sphären beginnt ein atemberaubender Kampf ums Überleben. Außerhalb der Sphären ist es nicht nur bitterlich kalt, sondern auch gefährlich. Die Vorräte sind knapp und auch die Außenbewohner, die abfällig »Prims« genannt werden, wollen den Tod der Studenten. Und dann erfährt Ria auch noch, dass jemand aus ihrer Gruppe ein Verräter ist und heimlich mit dem Sphärenbund kommuniziert. Aber wer ist der Spitzel? Ria kann niemanden mehr trauen …

Zunächst muss ich sagen, dass ich sehr skeptisch war, als ich erfahren habe, dass Ursula Poznanski nun auch auf den Dystopien-Zug aufgesprungen ist und dieses Buch natürlich der Auftakt einer Trilogie ist. Bisher bin ich es von ihr gewohnt, eine einzigartige Handlung geliefert zu bekommen, die sich deutlich vom Einheitsbrei abhebt. Ein System mit extremen Vorschriften, eine Liebesgeschichte und eine Flucht von »drinnen« nach »draußen«? Das haben wir doch – weiß Gott! – oft genug durchgekaut, oder nicht? Falsch gedacht.

Ria ist nicht eines dieser dummen, sechszehnjährigen Mädchen, das ihre große Liebe in einem Außenbewohner findet und sich von ihm erklären lassen muss, wie das System wirklich funktioniert. Und sie flieht dann auch nicht vor lauter Liebe in die Außenwelt. Ria ist eine starke, intelligente Heldin, die sich nicht von ihren Gefühlen bestimmen lässt. Sie jammert nicht. Sie denkt logisch und handelt nachvollziehbar. Sie trifft eigene Entscheidungen und verfolgt mit jedem ihrer Worte ein Ziel. Und trotz all ihrer Stärken ist sie nicht perfekt.

Auch wenn die Autorin diesmal das Rad nicht neu erfunden hat, hat mich die Geschichte von Ria gleich auf den ersten Seiten gepackt und nicht mehr los gelassen. Und das ist mittlerweile wirklich nicht mehr leicht, denn ich lese viele Dystopien und erstaunlich viele basieren auf dem selben Muster. »Die Verratenen« hingegen wartet mit unvorhersehbaren Wendungen und gewieften Charakteren auf, die auch diesmal hervorragend zusammen gestellt und überzeugend ausgearbeitet wurden. Insgesamt ist dieses Buch ganz sicher keine Enttäuschung, sondern eine angenehme Überraschung, die sich nicht verstecken muss.