Rezension

Die Vier aus Zoppot

Wenn wir wieder leben - Charlotte Roth

Wenn wir wieder leben
von Charlotte Roth

Bewertet mit 5 Sternen

1963 Berlin. Wanda ist eine junge Studentin, die sich für die Vergangenheit ihrer bereits verstorbenen Mutter Matti interessiert. Sie stellt Nachforschungen an, die sie nach Danzig und auch in das Ostseebad Zoppot führen. Dort formierten sich in den 20er Jahren die vier Freunde Gundi mit Halbschwester Lore, Julius und Erik sich zu einer Combo und unterhielten die dortigen Kurgäste mit flotter Musik. Durch ihren wachsenden Bekanntheitsgrad gelang es ihnen, sich ein Engagement auf dem Urlaubsschiff „Wilhelm Gustloff“ zu ergattern und machen mit ihrer Tanzkapelle die Meere „unsicher“. Dann verliebt sich Gundi in den Sänger Tadek, der sich kurz darauf dem polnischen Widerstand anschließt, als Hitler in Polen einmarschiert. Was wird nun aus Gundi? Wird sie Tarek je wiedersehen? Und was bedeutet das für die vier Freunde?

Charlotte Roth hat mit ihrem Buch „Wenn wir wieder leben“ einen sehr unterhaltsamen und spannenden historischen Roman vorgelegt. Der Schreibstil ist flüssig, gefühlvoll und fesselnd zugleich, der Leser taucht direkt ein in das Jahr 1963, wo er sich unsichtbar an die Seite von Wanda begibt, um mit ihr eine abenteuerliche Reise in die Vergangenheit zu unternehmen, wobei ihm die Gedanken und Gefühle von Wanda nie verborgen bleiben. Die Handlung verteilt sich auf zwei Zeitebenen, die eine beschäftigt sich mit Wanda und ihrem gegenwärtigen Leben bzw. der Suche nach Einzelheiten über ihre verstorbene Mutter, der andere lässt die Zeit von 1920 bis 1945 wieder aufleben und gibt den Blick frei auf Guni Frieböse und ihre Freunde, die zur damaligen Zeit mit einer eigenen Musikkapelle einige Erfolge aufzuweisen hatte. Durch die wechselnden Erzählperspektiven steigert sich auch der Spannungsverlauf der Geschichte. Die Autorin hat akribisch recherchiert und den historischen Hintergrund auf wunderbare Weise mit ihrer Handlung verwebt. So lässt sie den Leser an der Atmosphäre auf dem Luxusdampfer „Gustloff“ ebenso teilhaben wie an der politischen Situation mit der Erstarkung der Nazis, die Formierung des Widerstands sowie an der damaligen Stimmung der Menschen. Auch die eingestreuten damals recht gebräuchlichen Worte, die heute kaum noch einer kennt, geben der Geschichte zusätzliche Authentizität. Die Landschaftsbeschreibungen von Danzig und dem Ostseebad Zoppot sind so bildgewaltig, dass man sich als Leser während der Lektüre gedanklich dort wähnt und das Gefühl hat, der Tanzkapelle selbst zu lauschen.

Die Charaktere wurden von der Autorin sehr schön ausgestaltet und in Szene gesetzt. Sie besitzen individuelle Konturen und wirken sehr lebendig und realitätsnah. Wanda ist eine intelligente junge Frau, die in einer turbulenten Zeit lebt. Sie ist aufgeschlossen, neugierig auf die Welt und hat einen jüdischen Freund. Durch die Recherche über die Vergangenheit ihrer Mutter versucht sie auch, etwas über sich selbst zu erfahren, was ihr unterschwellig auch Angst macht. Doch sie ist mutig und entschlossen. Gundi ist eine Frau, die auf den ersten Blick sympathisch wirkt, doch je mehr man sie kennenlernt, umso mehr stellt sie sich als egoistisch heraus. Sie will alles und auf nichts verzichten, was ihr den nötigen Mut verleiht. Sie ist eine Träumerin, die sich ihre Wünsche erfüllen will, doch gleichzeitig verletzt sie damit ihr eng verbundene Menschen. Dadurch wirkt sie oft rücksichtslos und hart, doch insgeheim hat sie wohl auch Angst, alles, was sie liebt zu verlieren. Weitere Protagonisten wie Julius, Erik oder Lore verstärken die Handlung mit ihren eigenen Geschichten und geben ihr zusätzlich Kontur.

„Wenn wir wieder leben“ ist ein wunderbarer historischer Roman, der den Leser tief in vergangene Zeiten eintauchen lässt und mit dessen Empfindungen und Emotionen spielt. Auch nach der letzten gelesenen Seite wirkt die Geschichte noch nach. Absolute Leseempfehlung!