Rezension

Die Wahrhaftigkeit der Liebe

Den Mund voll ungesagter Dinge - Anne Freytag

Den Mund voll ungesagter Dinge
von Anne Freytag

Bewertet mit 5 Sternen

Die siebzehnjährige Sophie muss kurz vor ihrem Abitur von Hamburg nach München umziehen, weil die neue Freundin ihres Vaters dort wohnt und er mit ihr zusammen leben möchte. Ihre Mutter hat die Familie kurz nach Sophies Geburt verlassen und sie hat kaum noch eine Erinnerung an sie. Ihr enger Freund Lukas hat sie ebenfalls verlassen, um zu seiner Freundin nach Frankreich zum ziehen und so hat Sophie niemanden mehr, dem sie sich anvertrauen kann. Zuerst will Sophie ihre Stiefmutter, die Halbbrüder, das neue Haus und einfach alles ganz schrecklich finden, aber sie wird so herzlich aufgenommen, dass sie ihre Haltung nach und nach ändert. Daran hat auch das Nachbarsmädchen Alex einen großen Anteil, die mit ihrer mitreißenden und offenen Art sofort ihre beste Freundin wird und ganz neue, aufregende Gefühle in ihr auslöst...

Dieses Jugendbuch hat mich von Anfang an begeistert! Man taucht direkt in die Gefühlswelt eines sehr ernsten und sensiblen Mädchens ein, das viel zu früh die Liebe und Nähe einer Mutter entbehren musste. Der Vater hat ihr zwar, so weit es ihm möglich war, ein liebevolles und stabiles Zuhause gegeben, aber man merkt an ihren Aussagen, dass ihr dabei etwas Entscheidendes gefehlt hat. Nun wird sie auch noch kurz vor ihrem Abitur aus ihrem gewohnten Umfeld gerissen, was ich sehr egoistisch von ihrem Vater finde, der doch noch die paar Monate mit dem Umzug hätte warten können und aus Bequemlichkeit sie noch nicht mal ihr eigenes Bett mitnehmen lässt. Er wird mir im Laufe der Handlung immer unsympathischer und zum Glück gelingt Lena, der "Stiefmutter", eine feinfühlige und ehrliche Annäherung an die neue Tochter.

Die sehr lebendige Erzählweise der Protagonistin aus der Ich-Perspektive und die glaubwürdigen Dialoge lassen die Handlung nur so voran fliegen. Ich konnte mich sehr gut in Sophie und die anderen Charaktere hineinversetzen und ihre Gefühle nachvollziehen. Ohne falsche Scham werden die innersten Gedanken enthüllt und intime Handlungen dargestellt, ohne pornografisch zu wirken. Besonders gut hat mir gefallen, dass man am Ende auch Einblick in die Gefühle von Alex in ihren tagebuchartigen "Gedankenfetzen" bekommen hat. So konnte man die Geschichte noch mal aus ihrer Perspektive erleben. Kleine Details, wie zum Beispiel die Bildchen über dem jeweiligen Kapitel, haben eine schöne Bedeutung, die an Alex 18. Geburtstag erklärt wird. Ebenso bekommt die Zeichnung des Mädchens auf dem Cover zum Schluss noch einen ganz besonderen Sinn.

Die Botschaft des Buches kann man ganz klar auf einen Nenner bringen: Es kommt nicht auf das Geschlecht, sondern auf die Wahrhaftigkeit der Liebe an! Der Autorin ist hier ein Jugendroman mit der richtigen Mischung aus der Problematik des Erwachsenwerdens, des Sich-selbst-Findens und der ersten Liebe ohne Kitsch und trotzdem voller Romantik gelungen.