Rezension

Die Wahrheit ist nicht immer das, was sie zu sein scheint

DIE WAHRHEIT
von Melanie Raabe

Verliert sich über lange Strecken in den Köpfen der Protagonisten und kommt dann zu einem überraschenden Ende.

Der Plot des Romans klingt grauenvoll. Der plötzlich verschwundene und tot geglaubte Ehemann kehrt nach Jahren zurück, doch die Person, die vor dir steht, ist nicht dein Mann. Und nun bist du gezwungen, mit dem Fremden in einem Haus zu leben. Dass da sehr widersprüchliche Gefühle im Spiel sind, ist nicht verwunderlich. Melanie Raabe hat diesen Zwiespalt hervorragend umgesetzt. Das Innenleben ihrer Figuren ist authentisch und nachvollziehbar. Als Leser*in wird man so sehr in die Köpfe der Protagonisten hineinversetzt, dass man nicht in der Lage ist, Distanz aufzubauen, sondern ihre Sicht der Dinge völlig annimmt. Damit spielt die Autorin gekonnt, das überraschende Ende würde anders nicht funktionieren. Denn ganz wie der Buchtitel prophezeit, geht es um „die Wahrheit“ - nur dass eine Wahrheit eben nicht immer das ist, was sie zu sein scheint. Viel mehr lehrt uns dieser Roman, dass Wahrheit in erster Linie das ist, was wir für wahr halten wollen, ohne andere Perspektiven zuzulassen.

 

Bis hierhin klingt das richtig gut, oder? Leider gibt es auch durchaus eine ziemlich große Schwachstellen. Wie gesagt, versetzt uns Melanie Raabe mitten in die Köpfe der Protagonisten, die meiste Zeit in den Kopf der Ehefrau Sarah. Nur leider verliert sie uns dort auch zwischenzeitlich. Denn Sarah wälzt in endlosen Dauerschleifen die immer selben Fragen und Empfindungen hin und her. Das mag zwar in einer solchen Situation absolut der Realität entsprechen, jedoch ist das wenig förderlich für den Handlungsverlauf. Während Sarah also fast verrückt wird über ihr Nachdenken, wird es der Leser vor Ungeduld. Über mehr als hundert Seiten geht es nicht voran - es ist gelinde gesagt frustrierend. So wird der Roman leider, leider über eine große Strecke zu einer wirklich zähen Veranstaltung.

 

Fazit: Das Ende reißt vieles wieder raus, sodass trotz der großen Längen insgesamt ein ordentliches Buch übrig bleibt, das immerhin 3/5 Sternen verdient hat.