Rezension

Die Wahrheit ist nicht immer in Stein gemeisselt...

Loney - Andrew Michael Hurley

Loney
von Andrew Michael Hurley

Bewertet mit 4 Sternen

„Tonto, die Wahrheit ist nicht immer in Stein gemeisselt. Im Grunde sogar nie. Es gibt nur verschiedene Versionen von ihr. Und manchmal ist es vernünftig, die Version, die man den anderen zeigt, sorgfältig auszuwählen.“

(Loney, S.334, Father Bernard zum Erzähler)

 

 

Inhalt (verkürzt, gemäss innere Umschlagklappe):

The Loney - ein verregneter, unwirtlicher Landstrich an der nordenglischen Küste. In der Karwoche des Jahres 1976 pilgert eine brüchige kleine Glaubensgemeinschaft aus London dorthin, um in der Wallfahrtskirche der heiligen Anna für ein Wunder zu beten: möge Hanny, äußerlich schon fast ein Mann, doch von kindlichem Gemüt, von seiner Krankheit erlöst werden. Dreißig Jahre später legt ein Erdrutsch bei The Loney die Leiche eines Babys frei. In Hannys jüngerem Bruder Tonto weckt dies Erinnerungen an jene Reise, die er all die Jahre tief in seinem Inneren verborgen hatte. Doch jetzt drängt die Vergangenheit mit Macht an die Oberfläche und droht, ihm den Boden unter den Füßen wegzureißen.

 

Cover:

Hat mich persönlich sofort angesprochen (das Cover der englischen Originalausgabe wurde übernommen). Schwarz-weiss gehalten mit kahlen Ästen und von einem dieser Äste hängt ein einzelner Blutstropfen und das Gebäude, welches wahrscheinlich Moorings oder Thessaly zeigt (alte Häuser, welche im Roman vorkommen). Es passt meiner Meinung nach sehr gut zum Inhalt.

Einziger Wermutstropfen: Die „Werbung“ (ein Zitat aus „Telegraph“, kommt leider auch auf der Originalausgabe vor). Hätte man doch wirklich weglassen können, gehört doch, falls unbedingt nötig, auf die Rückseite oder auf die Klappen des Umschlags.

 

Meinung:

Der Schreibstil, die Sprache ist eigentlich einfach gehalten, man kann den Roman sehr flüssig lesen. Die Geschichte lässt den Leser aber auch mit offenen Fragen zurück, welche nicht beantwortet werden.

Ich kann das Genre auch nicht wirklich einordnen:

Ist es ein Horrorroman? Nein, meiner Ansicht nach nicht. Aber es ist gewiss ein Gruselroman (er hat etwas von einer „Gothic Novel“, z.B. erinnern die Häuser, das Wetter (mehrheitlich Regen/Unwetter) und der Landstrich vor allem an einen Gruselroman der alten Schule). Ist es ein Krimi? Eher nicht. Ist es ein Roman über Religion? Jedenfalls ist es ein Roman der Religion oder/und Glaube thematisiert. Es geht immerhin um eine, meiner Meinung nach erzkatholische Gruppe (vor allem die Mutter fand ich sehr schlimm, schon fast sektiererisch), welche sich von einer österlichen Klausur an einen doch eher „unchristlichen“ Ort, die Heilung von Andrew (Hanny) versprechen. Hanny scheint geistig behindert zu sein, jedenfalls kann er nicht sprechen. Es wird nie explizit gesagt, woran er leidet. Jedenfalls wird er tatsächlich geheilt, nur nicht auf die Weise, welche alle denken. Nur Tonto (Erzähler und Bruder) weiss mehr oder weniger, was wirklich passiert ist, verschweigt die Wahrheit aber auch vor Hanny, um ihn zu schützen. Ist es ein Roman über Familie? Ja, aber vor allem ist es ein Roman über zwei Brüder. Ist es ein Entwicklungsroman? Ja, in gewisser Weise schon. Hanny macht ja die Entwicklung zur Heilung durch, er wird Pastor (zwar nicht mehr katholisch, sondern anglikanisch (?)). Er heiratet und hat zwei Kinder, schreibt ein Buch und wird „berühmt“. Sein Bruder (Erzähler) wird durch die Erlebnisse eher zum Atheisten, arbeitet als Buchrestaurator (?) in einem Museum, ist Einzelgänger und wird von Hanny zu einem Therapeuten geschickt. Ich glaube er hat Probleme, weil er immer für seinen Bruder hat da sein müssen (Hanny hatte immer ein engeres Verhältnis zu seinem Bruder, als zu seinen Eltern). Und plötzlich, durch die Heilung, wird im dieser „Halt im Leben“ genommen. Ist es ein Historischer Roman? Nein. Er spielt zwar mehrheitlich im Jahre 1976, fängt aber in der Gegenwart (2006?) an (Auslöser der Geschichte ist ein Unwetter in „The Loney“, welches die Leiche eines Babys freilegt). Danach springt die Geschichte ins Jahr 1973, als der Erzähler zwölf und Hanny 16 Jahre alt und das (vor-)letzte Mal in „The Loney“ (das letzte Mal mit Father Wilfred, welcher Anfang 1976 stirbt) waren. Dann spielt die Geschichte mehrheitlich Ostern 1976 in „The Loney“, aber der Erzähler springt auch vorwärts zur Gegenwart und zurück in die Jahre zwischen 1973-1976.

Ist es ein Fantasy Roman? Kommt darauf an, wann Grusel zu Fantasy wird. Aber eher nicht, sonst wäre der Roman wahrscheinlich länger und ausführlicher geworden, hätte wahrscheinlich viele der offenen Fragen irgendwie beantwortet, hätte aber dann meiner Meinung nach mehr verloren, als gewonnen.

 

Was ich noch seltsam fand:

Von praktisch jedem der (Haupt-)Protagonisten wurde im Verlaufe der Geschichte der Vorname mindestens einmal erwähnt. Nur die Vornamen des Erzählers, Tonto ist ein Spitzname, und von Farther (Vater des Erzählers und von Hanny) wurden nie erwähnt.

 

Fazit:

Ein gut lesbarer, eher klassischer Gruselroman (Gothic Novel) über die verschiedenen Stufen von Glaube (leicht bis extrem konservativ) und über Wunder, welche vielleicht nicht immer durch Gott ausgelöst werden. Und über zwei sich sehr nahe stehenden Brüdern.

Aber als Leser muss man sich auch auf den Erzähler (Tonto) einlassen können, ich denke mal, sein Charakter ist nichts für jeden. Er ist eher eine Konstante, als ein Extrem.