Rezension

Die Wahrheit ist vielschichtig...

Layers
von Ursula Poznanski

Bewertet mit 4 Sternen

Der 17jährige Dorian ist vor seinem gewalttätigen Vater auf die Straße geflüchtet. Dort lebt er mehr schlecht als recht und versucht nach Möglichkeit, allen Konflikten aus dem Weg zu gehen. Doch nachdem er eines Abends mit einem anderen Obdachlosen aneinandergeraten ist, erwacht er plötzlich mitten in der Nacht - und das Leben ist Grauen. Die Leiche des streitbaren Obdachlosen liegt blutüberströmt neben ihm, Dorians Taschenmesser scheint die Tatwaffe zu sein. Was ist nur geschehen? Hat er zugestochen und kann sich nicht mehr daran erinnern? Bevor er seiner Panik Herr werden kann, ist schon jemand neben ihm. Und hilft ihm. Warum?

Er bring ihn zu einer versteckt gelegenen Villa, wo Dorian Kleidung und Essen erhält und Bornheim kennenlernt. Diesem gehört die Villa, und er scheint Jugendliche in Not aufzunehmen und ihnen ein Heim zu geben. Einfach so? Selbst Schulunterricht erhalten die Jugendlichen, und Dorian macht dort die Bekanntschaft von Stella, zu der er sich gleich hingezogen fühlt. Nach anfänglichem Misstrauen beginnt Dorian sich wohlzufühlen, und wäre da nicht die offene Frage nach der Ermordung des Obdachlosen, würde sich Dorian fast unbeschwert fühlen.

Nach einer Zeit der Eingewöhnung wird Dorian an einigen Tagen in der Woche wie die anderen Jugendlichen auch zu einfachen Diensten eingeteilt: sie sollen in der Fußgängerzone Flyer für gute Zwecke verteilen. Keine schwere Aufgabe und nicht sonderlich aufregend - wären da nicht immer wieder Menschen, die plötzlich stehenbleiben und Dorian aufmerksam und interessiert mustern. Und nicht nur das: sie fragen ihn manchmal auch etwas - nach dem toten Obdachlosen oder nach seinem Taschenmesser. Was läuft da nur? Als Dorian um eine andere Aufgabe bittet, weil er diese Begegnungen verstörend findet, muss er versiegelte Werbegeschenke verteilen - doch die Reaktion der Empfänger ist nicht weniger verstörend. Um dem Geheimnis auf den Grund zu gehen, behält Dorian eines der Päckchen für sich. Ab dem Zeitpunkt beginnt eine gnadenlose Jagd auf ihn...

,,Konnte ja sein, dass Bornheim ganz gezielt obdachlose Jugendliche von der Straße holte. Weil niemand sie vermisste, wenn sie vollends verschwanden. Es war so einfach zu behaupten, sie hätten sich wieder für ihr altes Leben entschlossen. Keiner, wirklich keiner, konnte das nachprüfen."

Dorian als Hauptcharakter ist vielschichtig und authentisch gezeichnet. Seine Gedanken und Gefühle sind zu jedem Zeitpunkt nachvollziehbar, ebenso wie seine Handlungen. Seine Ratlosigkeit entspricht der des Hörers, so dass man sich hier gut identifizieren und mitfiebern kann. Diese Ratlosigkeit ist es auch, die die Spannung über den gesamten Zeitraum aufrecht erhält.
Die übrigen Charaktere sind eher oberflächlich gezeichnet, was in diesem Fall aber nicht stört, weil die Begegnungen auch meist flüchtig bzw. von kurzer Dauer sind. Und oft genug stellt sich heraus, dass das erste Bild einer Person nicht standhalten kann, sondern sich als etwas ganz anderes entpuppt. Überhaupt ist es das Spiel mit Misstrauen und Vertrauen, das U. Poznanski hier bis zur Perfektion ausreizt. Bis zum Schluss ergeben sich hier ungeahnte Wendungen und Überraschungen, die die Verzweiflung Dorians fast spürbar werden lassen und auch den Hörer ratlos machen hinsichtlich dessen, was er nun glauben soll oder nicht. Das anfangs diffuse ungute Gefühl verdichtet sich im Laufe der Geschichte, und die Spannung wächst - bis zum überraschenden Ende.

Ein wenig langatmig empfand ich die Aneinanderreihung ähnlicher Szenen im Mittelteil, auch wenn dies für die Entwicklung der Geschichte sicher notwendig war. Die Technik, mit der dieser Jugendthriller sich auch beschäftigt, entspricht zwar nicht dem heutigen Stand und ist insofern als zukünftig zu bennennen, jedoch erscheint das ganze durchaus im Bereich des Vorstellbaren. Und das ist faszinierend und beängstigend zugleich, was das Unbehagen beim Lesen noch steigert.

Der Sprecher Jens Wawrczeck trägt das Hörbuch gelungen und gekonnt vor, passt auch zur Person des Dorian. Allerdings musste ich mich anfangs trotzdem an den Sprecher gewöhnen, denn die Stimme ist für mich unlösbar mit den Hörbüchern von 'Die drei ???' verbunden, was für mich zunächst irritierend war. Dann aber konnte ich die Stimme zunehmend neutral wahrnehmen und mich auf das eigentliche Geschehen konzentrieren.

Insgesamt hat Poznanski hier in meinen Augen einen spannenden Jugendthriller vorgelegt, der mit der Vielschichtigkeit von Wahrheiten spielt und durch viel psychologische Spannung punktet. Empfehlenswert!

© Parden