Rezension

Die warme Umarmung der Einsamkeit

Der Kreis des Weberknechts - Ana Marwan

Der Kreis des Weberknechts
von Ana Marwan

Die Geschichte, dicht gestrickt und zugleich fernab der gängigen Muster, beruht auf den Beobachtungen eines selbsterklärten Misanthropen, der seine Schwächen am Revers trägt wie Ehrennadeln. Er rühmt sich seiner Marotten, ist stolz auf seine Schrullen, stößt andere Menschen (wenn er sie partout nicht vermeiden kann) genüsslich vor den Kopf, um seine Einzigartigkeit zu unterstreichen.
Seht her, ich stehe über den plebejischen Normen der Höflichkeit.
So bietet ihm Mathilde, an der er wider Erwarten und Willen interessiert ist, das Du an, doch er lehnt in grandioser Selbstherrlichkeit ab. Es kommt ihm gar nicht in den Sinn, dass dies ihrer Wertschätzung für ihn einen Dämpfer verpassen könnte, denn das ist in seinem Plan nicht vorgesehen. Für ihn steht außer Frage, dass er Mathilde intellektuell überlegen ist, und er ignoriert deutliche Anzeichnen für das Gegenteil.
Sein Blick auf die Welt ist durch und durch getränkt von seiner Egomanie und seinen rigiden Ansichten.
Eine stete Selbstbestätigung, die es ihm ermöglicht, seine Meinung nie zu ändern. („Selbstbestäubung“, schlägt die Autokorrektur an dieser Stelle vor – und warum nicht, das passt. Er befruchtet wieder und wieder das eigene Ego, und das Resultat sind Blüten des Eigennutzes.)
Wenn die Bestätigung von außen ausbleibt, wenn die Reaktion anderer Menschen sich beißt mit seiner Erwartung, dann muss nicht etwa das eigene Verhalten überdacht und verändert werden. Oh nein. Dann wird das Verhalten der Umwelt neu interpretiert, im Zerrspiegel betrachtet, bis es wieder ins Schema passt – und die Schuld an Wasauchimmer bei den Anderen liegt.
Warum sollte man das lesen wollen?
Ja, der Held dieser Geschichte ist in vielerlei Hinsicht ein Antiheld, den man mit hoher Gewissheit nicht mögen würde, träfe man ihn im echten Leben. Zu allgemeiner Verachtung der gesamten Menschheit gegenüber kommt noch ein überaus antiquiertes, herablassendes Frauenbild. Nein, er ist nicht der Star dieses Buches – auch wenn er aus der sicheren Entfernung der Literatur sehr unterhaltsam ist.
Der Star dieses Buches ist die Sprache.
Denn die ist schön, so schön. So grandios, so einzigartig, so clever und erfrischend und gekonnt und das ist genug Hyperbel, das muss reichen. Oder auch nicht: In die Sprache hab ich mich schon nach wenigen Seiten schockverliebt.
Sie schildert das emotional vertrocknete Leben des Protagonisten perfekt und würzt es zugleich mit einem sehr speziellen Humor – was es nicht nur bekömmlich, sondern sogar vergnüglich macht. Die Autorin spielt meisterhaft mit Worten und Phrasen, indem sie Klang und Bedeutung in den unterschiedlichsten Kontexten immer wieder feinjustiert.
„Mit Unbehagen musste Lipitsch an diesem Punkt auch feststellen, dass er keine Antwort auf ihre Frage parat hatte. Nachdem er mit der Menschheit Schluss gemacht hatte, rechnete er nicht mehr damit, neue Antworten liefern zu müssen. Auf diesen neuen Gegenstand war keiner von den alten vorgefertigten Sätzen anwendbar, und neue kann man nicht einfach so liefern, ohne sie vorher getestet zu haben, bei den neuen weiß man nie, sie können womöglich ausarten, wenn sie freigelassen werden, und wenn man sie dann zurücknehmen will, geht das gar nicht, wir wissen alle, wie unmöglich das sein kann, der Mund ist oft eine Wurmdose.“
Die Geschichte an sich ist schnell erzählt:
Ein Menschenfeind verliebt sich in eine Frau, verfängt sich in ihrem und im eigenen Netz und schreibt an einem „umfassenden ontologischen Werk“, das nicht recht voran kommt.
Die Geschichte alleine wäre zu mager für ein Buch, sogar für nur 196 Seiten, mehr das bloße Skelett einer Geschichte. Aber das, was mitschwingt, was angedeutet wird, was man hineininterpretieren kann, verleiht diesem Buch Tiefe, Bedeutung und Kraft. Da steckt ganz viel drin.
Die Autorin führt den Protagonisten gekonnt vor, meines Empfindens jedoch nicht ohne nachsichtiges Mitgefühl. Er ist ein zerrissener Mensch, der sich selber der ärgste Feind ist, weil er Anziehung und echte Wertschätzung nicht zulassen kann.
Gegen Ende fühlte ich, zugegeben, eine gewisse Übersättigung, was Karl Lipitsch betrifft, und allen Anscheins nach ging es ihm selbst da nicht viel anders. Er überspannt den Bogen, überreizt seine Menschenfeindlichkeit, scheitert an sich selber. Der Leser kann sich wundlesen daran, das schmerzte mich wie eine offene Blase.
Dennoch – am Ende schließt sich mehr als ein Kreis. Das erschöpfte, überstrapazierte ontologische Werk gibt der Geschichte im Kontext auf einmal einen ganz neuen Sinn. Ich bin geneigt, das Buch noch einmal zu lesen, mit dem Ende im Hinterkopf.
Konsequent, das muss man Karl Lipitsch lassen, ist er bis zum bitteren Schluss.
Fazit
Karl Lipitsch hasst Menschen. Grundsätzlich, ohne Ausnahme, und er ist stolz darauf. Am liebsten verbringt er seine Tage in der „warmen Umarmung der Einsamkeit“ und schreibt an einem philosophischen Werk, an dessen Erfolg er nicht im geringsten zweifelt. Dann zerrt ihn seine Nachbarin Mathilde nach einer Zufallsbegegnung beharrlich aus seiner Isolation, doch das ist keineswegs der Auftakt einer harmonischen Liebesbeziehung. Lipitsch kann nicht aus seiner Haut, will nicht aus seiner Haut.
Mir haben diese Betrachtungen eines Misanthropen viel Spaß gemacht, denn Sprache und Schreibstil sind großartig, und das Ganze entbehrt nicht eines gewissen bösen Humors und gleichzeitig eines gewissen Tiefgangs. Wie gehen wir um mit unseren Mitmenschen, aber vor allem: wie gehen wir um mit uns selbst.
Diese Rezension erschien zunächst auf meinem Buchblog:
https://wordpress.mikkaliest.de/rezension-ana-marwan-der-kreis-des-weber...