Rezension

Dies ist eine Geschichte vom Verschwinden

Niemand liebt November - Antonia Michaelis

Niemand liebt November
von Antonia Michaelis

Bewertet mit 4.5 Sternen

Ein junges Mädchen auf der Suche nach seinen Wurzeln, nach Liebe und Geborgenheit - das ist an sich vielleicht nichts Neues, aber Antonia Michaelis wirkt Zauber mit ihrer einzigartigen Sprache und erzählt das scheinbar Bekannte so, dass es zu einem echten Highlight der Jugendliteratur wird.

November (oder Amber) ist eine widersprüchliche Protagonistin. Sie sucht nach Liebe - sie flucht, kratzt und beißt. Sie schreibt Gedichte - sie klaut, lügt und betrügt. Ihre Zeit in einer wahren Prozession von Heimen und Pflegefamilien hat sie gezeichnet und beinahe zerstört, und manchmal kann sie das Leben nur aushalten, indem sie zu "Lucy" wird, die sich hinter Makeup versteckt und sich mit Sex ein wenig Wärme erkauft.

Sie hat überhaupt ein sehr gestörtes Verhältnis zu Liebe und Sexualität. Sie verkauft sich selbst, ohne mit der Wimper zu zucken, und hängt all ihre romantischen Träume an das scheinbar Unerreichbare, wodurch sie sich selber unbewußt direkt zum Scheitern verurteilt. Auch wenn November im Grunde auf der Suche nach Liebe ist, ist das Buch also auf keinen Fall ein Liebesroman, aber das fand ich überhaupt nicht schlimm... Es bietet auch so mehr als genug emotionalen Tiefgang.

Es ist nicht immer einfach, November mit ihrem oft selbstzerstörerischen Verhalten zu mögen, aber ich fand es unmöglich, an ihrer Reise keinen Anteil zu nehmen. Die Autorin hat ein unglaubliches Gespür für Menschen, die am Rande der Gesellschaft leben, die in irgendeiner Form verletzt und gezeichnet sind, und so sind auch die Menschen, denen November begegnet, nicht unbeschadet durchs Leben gegangen. Aber sie findet gerade bei ihnen immer wieder unerwartete Wärme und Güte - allerdings auch schockierende Grausamkeit und Selbstsucht.

Ich konnte einfach nicht aufhören zu lesen! Ich wollte so verzweifelt, dass November ihre Eltern findet, dass sie endlich etwas Glück hat, dass das Leben ausnahmsweise mal gerecht ist, dass das Märchenhafte von Antonia Michaelis Sprache auch zu einem märchenhaften Ende führt... Da war es manchmal schwer zu ertragen, dass es immer noch schlimmer und schlimmer kam, und das Ende war dann gänzlich unerwartet.

Auf den Schreibstil von Antonia Michaelis muss man sich einlassen, und ich denke, man hasst ihn oder man liebt ihn. Bei ihr werden auch die schäbigen, hässlichen Seiten der Realität zum Märchenhaften, zu einer bedrückenden Schönheit, die manchmal schwer zu ertragen ist. Aber für mich sind ihre Bücher einfach ein Gedicht, und wenn ich ein Buch durch habe, habe ich mir meist hunderte von Stellen mit kleinen Post-Its markiert...

Fazit:
Antonia Michaelis erzählt in ihrer märchenhaften Sprache von einem zornigen, verzweifelten Mädchen, das seine Eltern sucht und sich dabei auf einer selbstzerstörerischen Reise beinahe selbst verliert. Das ist spannend, berührend, bedrückend, emotional... Die Geschichte ist nicht immer einfach zu lesen, hat aber oft eine unglaubliche Schönheit.