Rezension

Dieses Hörbuch geht unter die Haut

Das Haus der Verlassenen - Emily Gunnis

Das Haus der Verlassenen
von Emily Gunnis

Bewertet mit 4 Sternen

"Das Haus der Verlassenen" ist der Debütroman von Emily Gunnis - ich war vor allem aufgrund der Thematik neugierig auf das Hörbuch. Ich lasse mich unheimlich gern von fesselnden Familiengeschichten und gefährlichen Geheimnissen vereinnahmen und beides verbirgt sich auch zwischen den Buchdeckeln von "Das Haus der Verlassenen". Ins Zentrum der Handlung stellt Emily Gunnis einen Ort, den man sich als ehemals prächtiges Herrenhaus und gleichzeitig als Hölle auf Erden vorstellt. Es geht um ein kirchliches Heim namens St. Margaret´s, in dem in den 1950er Jahren ledige, schwangere Frauen Zuflucht fanden. Wobei Zuflucht definitiv das falsche Wort ist, denn bereits nach den ersten Kapiteln wird klar, dass St. Margaret´s alles andere als ein sicherer Ort war, an dem die jungen Mütter ihre Kinder bekommen und aufziehen konnten. Vielmehr wird das St. Margaret´s im Verlauf der Geschichte gewissermaßen zum Synonym für nackte Grausamkeit - und diese hat mir schier den Atem verschlagen.

 

Aber der Reihe nach - worum geht es eigentlich? Die Handlung beginnt mit einem Brief, den die junge Journalistin Sam in der Wohnung ihrer Großmutter findet, die Sam großgezogen hat und seit dem Tod ihres Großvater allein lebt. In diesem Brief, der auf das Jahr 1956 datiert ist, schildert eine junge Frau den alltäglichen Terror, dem sie im St. Margaret´s Heim für ledige Mütter ausgesetzt ist, und fleht den Empfänger an, sie von dort fortzuholen. Genau wie Sam war ich als Leser/Hörer sofort fasziniert von den verzweifelten Worten der Unbekannten. Und damit beginnt eine Spurensuche, die im Handlungsverlauf ebenso Erstaunliches wie Schockierendes zutage fördert.

 

Recht schnell lässt sich Sam, selbst Mutter einer kleinen Tochter, von den Berichten und Erlebnissen der unbekannten Ivy in ihren Bann ziehen. Man spürt als Leser deutlich, dass Sam ihre Gefühle kaum unter Kontrolle halten kann - zu sehr bewegt und berührt sie das, was sie nach und nach über Ivys Leben im St. Margraet´s aufdeckt. Auch Sams natürliche Neugierde als Journalistin treiben ihre Nachforschungen an - die Geschichte entwickelt so recht schnell eine Eigendynamik und hat mich schon nach den ersten Kapiteln vollkommen vereinnahmt. Emily Gunnis beschwört mit ihren Beschreibungen von St. Margaret´s den dunklen Schatten einer schrecklichen Vergangenheit herauf und schildert Dinge, die stellenweise nur schwer zu ertragen sind. Es gibt um Erniedrigung, Misshandlung, seelische und körperliche Folter, vor allem aber geht es um unerträgliches Schweigen und um das Vergessen. 

 

Je tiefer Sam in die Vergangenheit eintaucht, umso klarer wird ihr, dass die Schatten dessen, was damals in diesem Heim passierte, bis in die Gegenwart reichen. Gunnis gelingt es atemberaubend gut, Vergangenheit und Gegenwart miteinander zu verbinden. In zahlreichen Rückblenden werden die Geheimnisse nach und nach enthüllt - allerdings wurde mir dadurch etwas zu früh klar, auf welche Weise das Ganze mit Sam und ihrer Familie in Verbindung steht. Ich muss auch sagen, dass, so schrecklich die Enthüllungen am Ende auch sind, ich nicht alle Motive der handelnden Figuren nachvollziehen konnte. Ich hüte mich davor, ins Detail zu gehen, denn damit würde ich vor allem in Hinblick auf die Identität eines Charakters spoilern, aber ich hatte das Gefühl, dass am Ende alle Fäden etwas zu gut ineinander liefen. Hier wirkte die Geschichte, trotzdem sie immer noch spannend und fesselnd war, einen Ticken zu konstruiert und ich hätte mir durchaus ein etwas anderes Ende gewünscht.

 

Der Weg dahin aber war wie gesagt wahnsinnig aufwühlend, spannend und emotional. Die Geschichte um Ivy und Sam geht unter die Haut - umso mehr, weil Britta Steffenhagen das Hörbuch gleichzeitig auf sehr gefühlvolle und zurückhaltende, aber auch auf sehr intensive Art und Weise liest. Ihre Stimme hat etwas Rauchiges, Altes und das passt einfach sensationell gut zu der Atmosphäre, die Gunnis mit ihren Worten erzeugt. Beides in Kombination sorgt dafür, dass einen die Geschichte sowohl beim als auch nach dem Hören nicht mehr loslässt. Gerade wer gerne von dunklen Geheimnissen und gefährlichen Spurensuchen liest, wird von diesem Hörbuch begeistert sein.

Mein Fazit
Emily Gunnis hat mich mit ihrem Debütroman "Das Haus der Verlassenen" wirklich beeindruckt. Bei dieser Geschichte greifen Szenerie, Atmosphäre und Charaktere perfekt ineinander und erschaffen so eine Handlung, die einen nicht mehr loslässt. Ivys Schicksal und das der anderen Figuren ist aufwühlend und erschütternd und man lauscht ihr auch dank Britta Steffenhagens einzigartiger Stimme fast durchgehend mit angehaltenem Atem. Auch wenn die Handlung auf mich gegen Ende etwas zu konstruiert wirkte, hat mich dieses Hörbuch tief bewegt und ist definitiv Hörgenuss der besonderen Art.