Rezension

Diktatur und Gehirnwäsche sind untrennbar

Die Zeuginnen - Margaret Atwood

Die Zeuginnen
von Margaret Atwood

Bewertet mit 5 Sternen

Ich wollte, ich könnte so schreiben!

Nach fünfunddreißig Jahren läßt Margaret Atwood ihre Leserschaft ein wenig hinter die Kulissen von Gilead blicken, einem frommen, diktatorischen unabhängigen Staatswesen, wo das Patriarchat herrscht und Frauen zu kuschen haben. Also der Traum eines jeden Mannes. Oder?

Wie gewohnt baut Margaret Atwood vom ersten Moment an subtile Spannung auf, sie schreibt so erfindungsreich und eindringlich, dass sie die Leserschaft sofort am Wickel hat. Drei Frauen schreiben ihre Berichte heimlich auf, die außerhalb Gileads gelangen und deren Veröffentlichung zu dessen Sturz führt. Und es passiert auf 500 Seiten so einiges, was auf keinen Fall verraten werden darf, bei nur subtiler Spannung bleibt es jedenfalls nicht. 

Die beklemmende Atmosphäre von „Der Report der Magd“ wird jedoch nicht gehalten, ein optimistischerer Zungenschlag ist spürbar, der bedrückende Nebel vom Report lichtet sich. Auch der Stil Atwoods wirkt frischer, moderner. Einige sagen, der spezifische Wortwitz fehle. Was mir vor allem fehlt, ist eine männliche Stimme und der ganze männliche Hintergrund. Die Kommandanten mögen ein schönes Leben gehabt haben, aber was ist mit der restlichen männlichen Bevölkerung? Kein Fitzelchen Opposition in Sicht? Alle nicken mit den Köpfen und sind brav?

Die ganze Gesellschaft zu schildern, war vielleicht keine Zeit (mehr). Doch so bleibt „Die Zeuginnen“ als Fortsetzung des Romans „Der Report der Magd“ ein ziemlich einseitiger Unterhaltungsroman, der zwar auf hohem schreiberischem Niveau daherkommt, der sich aber doch in manchem einem „normalen“ Thriller annähert. Die Botschaft, dass Diktatur und Gehirnwäsche untrennbar zusammengehören, damit sie funktioniert, geht zugunsten der Action unter. 

Fazit: Ich bin nicht enttäuscht, denn die Lektüre ist äußerst unterhaltsam, ein Pageturner! Aber so wie der Roman nun einmal gestrickt ist, ist „Die Zeuginnen“ nur noch ein Roman für Frauen. Welcher Mann soll sich für den Roman interessieren, da Männer per se die Rolle der bösen Bösen spielen oder schmale Randfiguren sind. 

Kategorie: Gute Unterhaltung
Verlag:  Piper, 2019

Kommentare

Emswashed kommentierte am 19. Oktober 2019 um 08:41

Ach, wer braucht schon die Männer! Ich freue mich jedenfalls wahnsinnig, dass die Zeuginnen noch hier auf mich warten!

wandagreen kommentierte am 19. Oktober 2019 um 08:55

Wenn es nur nicht die Zeuginnen Jehovas sind ;-)

Emswashed kommentierte am 19. Oktober 2019 um 09:26

Och, die sind eigentlich immer ganz höflich und zurückhaltend, wenn ich denen erzähle, dass ich mit den Katholiken schon genug Huddelei hab.

katzenminze kommentierte am 02. November 2019 um 13:19

Die "beklemmende Atmosphäre" hat mir auch gefehlt. Ich hätte kein Happy End gebraucht, aber spannend und unterhaltsam, ja das isses.