Rezension

Diese Rezension enthält Spoiler. Klicken, um alle Spoiler auf dieser Seite lesbar zu schalten.

Dirndl, Dackel und weitere Klischees

Der halbe Russ - Isolde Peter

Der halbe Russ
von Isolde Peter

Bewertet mit 3 Sternen

Auf Daisy Dollinger, Sekretärin der Münchner Staatsanwaltschaft, warten derzeit vielerlei Herausforderungen: Nicht nur schleppt ihr frisch angetrauter texanischer Ehemann einen Dackelwelpen zu Hause an, auch kommt es bei ihrer Verwandtschaft in Dachselhofen zu immer mehr Reibereien und der unliebsame Cousin Traugott möchte sie in die Vorbereitungen seiner brasilianisch-bayrischen Hochzeit einspannen, nein, da landet auch noch der Fall eines vor dem Münchner Hofbräuhaus ermordeten russischen Straßenmusikers auf ihrem Schreibtisch. Gutmütig, wie die Daisy ist, lässt sie sich von Jungkommissar Seppi Leutner dazu überreden, sich als Undercover-Straßenmusikerin in der Szene umzuhören – und so findet sich Daisy im Dirndl mit Akkordeon bewaffnet auf dem Marienplatz wieder. Da geschieht ein zweiter Mord und wieder ist das Opfer ein russischer Straßenmusiker mit Akkordeon…

„Der halbe Russ“ ist der Auftaktband von Isolde Peters neuer Krimiserie, welche die bayrisch stämmige Autorin von Berlin aus verfasst. Das Cover mit dem treuherzig dreinschauenden Rauhaardackel vor blutigem Akkordeon ist ein absoluter Hingucker und auch der Klappentext ist kreativ verfasst und lässt auf eine spannende Geschichte voller Lokalkolorit hoffen. Letzterer ist auch durchaus vorhanden, sowohl München, als auch der Bayrische Wald werden lebensnah beschrieben und auch die typisch bayrische Atmosphäre mit all ihren Traditionen, Eigenarten und Redewendungen lässt mich an die Heimat denken. Der Schreibstil ist dem ebenfalls angepasst, die Dialoge in Dialekt geschrieben, was auch authentisch zu lesen und sehr humorvoll ist.

Die Story hat mich allerdings leider etwas enttäuscht. Nach dem Klappentext hätte ich Undercover-Ermittlungen des Ermittlerduos Daisy und Dackel Wastl im Straßenmusikermilieu erwartet. Leider hatte Daisy aber gerade mal einen einzigen Auftritt als Straßenmusikerin in Dirndl und Hund Wastl war mehr ein netter Nebendarsteller als tatsächlich storyrelevant. Auch die Ermittlungsarbeit ließ zu wünschen übrig, gefühlt ging es das halbe Buch lang um Daisys urbayrische Familiengeschichte und -reiberein in Dachselkofen, wobei die Morde und deren Hintergründe fast schon in Vergessenheit gerieten. Wirkliche Ermittlungen haben ebenfalls nicht stattgefunden, vielmehr wird die Polizei als trottelig und unprofessionell dargestellt und sehr ins lächerliche gezogen (z.B. „Ohrwatschl-ziehen“ als anerkannte Verhörmethode). Die Geschehnisse wurden mehr oder weniger durch den Zufall vorangetrieben, die Auflösung wirkte absolut konstruiert. Im gesamten Buch werden ständig sämtliche Bayern-Klischees ausgepackt, die für jemanden tatsächlich aus Bayern stammenden altmodisch, überzogen und fast schon beleidigend wirken können. An vielen Stellen scheint der Versuch unternommen zu werden, das traditionelle Bayern mit der modernen Welt zu verknüpfen – was meiner Meinung nach aber leider nicht wirklich gelungen ist (z.B. Feminismus und Vegetarismus trifft auf Patriarchat und Bratwursthochzeit). Auch in Hinblick auf die Spannungsentwicklung ist noch Luft nach oben.

Mit der Protagonistin Daisy Dollinger bin ich leider bis zum Schluss nicht richtig warm geworden. Sie wirkt auf mich impulsiv, naiv und nicht halb so weltmännisch, wie sie gerne tut. Auch ihr Verhalten und ihre Gedanken Vinzenz gegenüber kann ich in Hinblick auf ihren sympathischen Ehemann Adrian nicht gutheißen. Die weiteren Figuren wurden meist ironisch-überzogen, aber  teilweise auch skurill-liebenswürdig dargestellt und Dackel Wastl ist einfach nur zum Verlieben. Es gab allerdings klare Gruppierungen, die dann auch jegliche Klischees erfüllt haben, so etwa „die Russen“ oder die „Urbayern aus dem Bayrischen Wald“. Das war mir - wenn auch bewusst überspitzt dargestellt – einfach zu viel und irgendwann eher störend als witzig.

Fazit: Originell geschrieben und mit viel bayrisch-münchnerischem Lokalkolorit, aber inhaltlich etwas flach und teilweise so überzogen klischeehaft, dass es schon wieder unglaubwürdig wirkt. Auch in Bezug auf den Spannungsbogen ist noch Luft nach oben.