Rezension

Doppelbödig...

Quecksilber - Amélie Nothomb

Quecksilber
von Amélie Nothomb

Auf der Insel Mortes-Frontières hält der alte Kapitän Loncours die junge Hazel gefangen. Als sie erkrangt, reist Krankenschwester Francoise an, um sie zu pflegen. Sie ist die einzige Person, die Zutritt zu Hazels Zimmer bekommt. Denn der Kapitän scheint ein furchtbares Geheimnis zu hüten. Warum zum Beispiel hängen im ganzen Haus keinen Spiegel? 

Inspiriert und angenehm überrascht durch Nothombs Werk "Blaubart" stöberte ich durch ihre weiteren bücher und suchte mir dieses aus. Auf die langen, bisweilen hitzigen oder spitzen Dialoge von ihr war ich ja schon gefasst; sie ziehen sich über Seiten hin; die Handlung ist oft ein einziger Schlagabtausch. Ihr Erzählstil ist nüchtern und prägnant, was Einzelheiten betrifft; sie befasst sich nur mit dem wichtigsten und schreitet direkt zur Tat. Die Handlung dieses Buches war etwas undurchsichtig; zum einen musste ich oft genau aufpassen, wer eigentlich gerade das wort hat, denn die wörtliche Rede ist durch Striche ( - ) gekennzeichnet, und das ist tatsächlich gewöhnungsbedürftig. Man glaubt, schon am Anfang des Buches das Geheimnis von Loncours und Hazel gelüftet zu haben, da kommt es erst am Ende wirklich dicke. Und eine Besonderheit sollte nicht unerwähnt bleiben: dieses Buch hat zwei Enden. Gewissermaßen ist das eine für die Romantiker, das andere für die Realisten unter uns geeignet. Nothomb argumentiert so: "Als dieser [der zweite Schluss] fertig war, konnte ich mich zwischen beiden Versionen nicht entscheiden, denn beide erschienen mir gleichermaßend zwingend und von einer ebenso verwirrenden wie unerbittlichen Logik der Figuren geleitet." Der Leser hat also freie Wahl zwischen zwei Enden, womit Nothomb bewirkt, was jeder autor gern hätte: man kommt ins Grübeln. Welcher Schluss ist realistischer? Wie hätte ich gehandelt? Was ist richtiger, was falscher? 

Einen Stern muss ich allerdings abziehen, denn in der Mitte des Buches kam mir die Handlung schleppend vor, für ein paar Seiten waren die Dialoge nahezu uninteressant und kaum spannend. Trotzdem ist auch dies ein gelungenes, doppelbödiges Lesevergnügen über Freundschaft, Schönheit und deren Auswirkungen auf den Menschen, das fasziniert und zum Nachdenken anregt.