Rezension

Dramatisch, verstörend und atemberaubend spannend

Die Rache der Polly McClusky - Jordan Harper

Die Rache der Polly McClusky
von Jordan Harper

Bewertet mit 4.5 Sternen

Puh, wenn ich genauer gewusst hätte, was mich mit in dieser Geschichte erwartet, hätte ich sie vielleicht gar nicht gelesen, denn eigentlich ist so was nicht mein Ding. Aber nach einem neugierigen Blick in die Leseprobe hing ich am Haken, gefesselt von Anfang bis Ende.

Polly ist elf Jahre alt und fühlt sich aktuell nicht besonders wohl in ihrem Leben.  Sie ist hochintelligent, aber ohne Selbstbewusstsein und in ihrer Schule eher das, was man heutzutage „Opfer“ nennt. „Ein ganz und gar widerstandsloses Mädchen“, um es mit den Worten ihres Vaters zu sagen – doch von ihm hat sie die „Revolveraugen“. Als Nate, ihr Vater, sie überraschend von der Schule abholt, lässt sie ihr bisheriges Leben hinter sich zurück. „Das Gefühl, dass die ganze Welt, die ihr noch vor ein paar Minuten so stabil vorgekommen war, nur aus Glas bestand, verließ Polly nicht. Jetzt nicht und nie mehr wieder.“

Er kommt geradewegs aus dem Gefängnis, von jetzt auf gleich wird sie in eine Welt voller Gewalt katapultiert – und ist davon zunehmend fasziniert. Als ihr Vater Polly in seinen Überlebenstechniken schult, erweist sie sich als gelehrige Schülerin und wird erschreckend schnell heimisch in seiner Welt. Was Nate zeitweise beängstigend findet, jedoch gleichzeitig auch als einzige Chance für ihr Überleben ansieht. In dieser Sache ist er erschütternd ehrlich mit ihr.

Nate ist ein harter Typ, der in seinem Leben auch noch nicht viel Gutes erlebt und sich im Gefängnis so richtig in die Sch…. geritten hat, die nun auch seine Tochter bedroht. Um jeden Preis möchte er sie vor den tödlichen Konsequenzen bewahren…

Und dann habe ich mich einfach mitreißen lassen, Seite für Seite für Seite.

Knappe Sätze, meist kurze Kapitel und schnelle Perspektivwechsel halten das Tempo hoch.  Der Plot ist spannend, geradlinig und brutal. Die Sprache so knallhart und direkt wie die Welt, in der Nate sich bewegt. Und doch manchmal zart, fast poetisch, gerade dann, wenn sich die verzweifelt unterdrückte Emotion einen Weg sucht, wenn man spürt, wie sehr Vater und Tochter ihre Liebe zu verbergen suchen. Für mich eine unwiderstehliche Mischung, die letztlich dafür gesorgt hat, dass mir das Buch trotz Gewalt und Brutalität gefallen hat.

Polly und Nate waren für mich zwei ganz besondere Figuren, beide so introvertiert und distanziert, und gleichzeitig von besonderer Tiefe und Intensität. Ihre Bereitschaft zu Gewalt und Grausamkeit macht Angst, und doch hatte ich das verstörende Gefühl, sie in den Arm nehmen zu wollen und in ihr Ohr zu wispern, alles wird gut – auch wenn ich die ganze Zeit mit der Gewissheit gelesen habe, gut kann das nicht ausgehen. Trotz allem hat mir das Ende sehr gefallen.

Absolute Leseempfehlung für diesen harten, atemberaubend spannenden Thriller, der großartig und sprachgewaltig erzählt ist. Eine Vater-Tochter-Geschichte der besonderen Art, deren widerwillige Emotionalität es mir besonders angetan hat.