Rezension

Dramatische Chronik zweier Familien im 2. WK

Feldpost -

Feldpost
von Mechtild Borrmann

Bewertet mit 5 Sternen

"Feldpost" von Mechtild Borrmann erschien (HC, 297 S.) 2022 im Verlag Droemer-Knaur: Hatte mich vor Jahren bereits der Stil und die thematische Aufbereitung in Romanform von "Der Geiger" sehr beeindruckt, so vermochte es dieser zeitgeschichtliche Roman, der die Leser in das düsterste deutsche Kapitel des 2. WK führt, ebenso sehr!

 

Eingerahmt wird die Geschichte der Familien Kuhn und Martens von einer Story aus der Gegenwart, die durchaus authentisch erscheint: Cara Russo, Rechtsanwältin, sitzt in einem Kasseler Café kurz vor Weihnachten, als sich eine alte Frau an ihren Tisch setzt und sie in ein kurzes Gespräch verwickelt: Sie wundere sich, so die Frau, dass in der Burgstraße auf der Wilhelmshöhe nie eine Frau namens Adele Kuhn gewohnt haben solle... Kurz darauf ist die Frau verschwunden, hat jedoch Cara eine Tüte mit Papieren und einem Aktenordner hinterlassen. Das Interesse und die Neugierde ist bei Cara geweckt, als sie später zu Hause den Unterlagen entnimmt, dass es sich um Feldpostbriefe - und in einem Geheimversteck eines alten Ordners um einen Kaufvertrag einer alten Villa in der Burgstraße handelt, die 1937 von einem gewissen Gerhard Kuhn an den Freund und Apother Wilhelm Martens überschrieben und verkauft wurde. Zu einem Spottpreis.

 

Gerhard Kuhn hatte bereits kurz nach der Machtergreifung Hitlers wegen "verleumderischen Äußerungen gegenüber dem Führer und dem Reich" eine Gefängnisstrafe absitzen müssen; während Apotheker Martens NSDAP-Mitglied der ersten Stunde wurde - und ihn trotz Warnungen nicht von seiner politischen Meinung abhalten konnte. Die Verhaftung hatte zur Folge, dass dem Spediteur sämtliche LKW's und die Lizenz entzogen wurden, so dass die Familie (Adele und Albert sowie seine Frau Katharina) vor dem existenziellen Ruin standen. So entscheiden die Eltern von Adele und Albert, das Land zu verlassen und bei Freunden im Süden Frankreichs unterzukommen, wo sie auf einem Weingut mitarbeiten könnten. Die dramatischen Fluchtaktionen der Eheleute (deren Kinder zu diesem Zeitpunkt nicht mitkommen wollten) bis nach Portugal bewegen beim Lesen sehr; ganz besonders ein dramatisches Ende, mit dem ich schwer zu kämpfen hatte.

 

Mechtild Borrmann verknüpft hier Zeitgeschichte und das Schicksal zweier Familien miteinander, in dem sie als verschollen gegoltene Feldpostbriefe (die der Sohn des Apothekers schrieb) durch die Recherchen einer Rechtsanwältin dem Eigentümer und Schreiber der Briefe aushändigt: Dr. Richard Martens. Was diese Briefe (die durch eine Botin an den eigentlichen Empfänger überbracht wurden) in Martens auslösen sollten, ist ebenfalls Bestandteil und Dokumentation dieses hervorragenden Romans mit historischem Hintergrund. Auch die Bombardierungen und Fakten des Kriegsgeschehens (Einmarsch in Polen; in Finnland etc.) hat die Autorin nicht ausgespart und lässt den Leser sowohl eine tragische Liebesgeschichte, eine Flucht und das Auseinanderreißen von Familien in dieser Zeit miterleben. Es geht zum Einen um die Auswirkungen einer ersten Liebe, die nicht in das moralische Korsett der Nazi-Diktatur passen will und um eine Dramatik, die mit dem Verkauf der "Kuhn-Villa" auf der Kasseler Wilhelmshöhe zu tun hat: Gerhard Kuhn verkaufte sie damals, um sie später ("wenn der Spuk vorbei wäre"), zurückzukaufen. Dies war auch im Kaufvertrag so vereinbart. Doch es sollte alles ganz anders kommen....

 

Der vorliegende Roman liest sich zum einen düster, zum anderen mehr als spannend, da die Schicksalswege der ProtagonistInnen gut dargestellt und verfolgt werden können: Auch die meisten Entscheidungen, die Gerhard Kuhn, Albert, Richard Martens und Adele Kuhn treffen, sind nachvollziehbar. Allerdings gibt es wiederum andere Entscheidungen, die wirklich Böses anrichten und dennoch sehr authentisch wirken. Die Autorin hat im Dankeswort das Tagebucharchiv in Emmendingen gewürdigt und sicher an wahren Schicksalen zu dieser dunklen Zeit Anteil genommen.

 

"Feldpost" ist sehr atmosphärisch, dramatisch und hochspannend zu lesen. Der Stil der Autorin ist glasklar und schnörkellos. Die Figuren sind sehr realistisch und authentisch dargestellt; ich mochte sie (fast) alle; ganz besonders aber Gerhard Kuhn, dem ich ein anderes Schicksal von Herzen gewünscht hätte!

 

Fazit:

 

"Feldpost" ist eine unglaublich spannende, im historischen Kontext des Nazi-Regimes spielende, bewegende Geschichte zweier Familien, deren Geheimnissen, Lügen und Verrat, die erst 60 Jahre später ans Licht kommen sollten. Mich hat besonders die Authentizität und der glasklare Schreibstil wieder sehr begeistert und ich empfehle den Roman daher absolut weiter! 5*