Rezension

Drei einsame Herzen

Drei - Dror Mishani

Drei
von Dror Mishani

Bewertet mit 3.5 Sternen

Über den Roman von Dror Mishani sollten sich eigentlich nur seine Leser unterhalten – nach Beendigung der Lektüre. Zu groß ist die Gefahr einem angehenden Leser zu viel zu verraten und damit die Pointe zu versauen. Wobei schon allein das Wissen um eine mögliche Wendung den geübten Leser mit guter Kombinationsgabe eigene Schlüsse ziehen lässt. Nicht spoilern zu wollen, spoilert also auch.

Tatsächlich bleiben mir allerdings die Eindrücke von Tel Aviv am längsten im Kopf hängen, vor allem die gesellschaftlichen Umstände in denen Dror Mishani seine Frauenfiguren ansiedelt. Er beschreibt an ihnen eine Einsamkeit, die einen bis ins Mark trifft. Orna ist zutiefst verletzt. Ihr Mann hat sie und ihren Sohn ohne große Vorwarnung für eine andere Frau verlassen. Er lebt mit ihr und ihren vier bald fünf Kindern weit entfernt in Katmandu, für den eigenen Sohn Eran hat er nach der Trennung nun nicht einmal einen Geburtstagsgruß übrig. Für Orna ist ihre ganze Welt zusammengebrochen und doch lässt sie davon kaum etwas nach außen dringen. Auf mich wirkt sie regelrecht traumatisiert und doch schickt sie ihren Sohn zur Therapie und hätte sie selbst wohl dringender nötig. Orna ist einsam. Sie meldet sich in einem Datingportal für Geschiedene an, weil das alle so machen. Auf der Suche nach der großen Liebe ist sie eher nicht, aber nach Bestätigung und nach Gesellschaft. So beginnt sie ihre Abende mit einem netten, geschiedenen Mann zu verbringen, um ihrer Einsamkeit zu entkommen. In anderen Romanen oder Filmen steht solch einer Frauenfigur oft eine gute Freundin zur Seite, mit der sich alle Fakten und Details zum potentiell neuen Mann ausführlich besprechen lassen. Doch sind wir mal ehrlich – im richtigen Leben versuchen wir unsere Schwächen, unsere Sorgen und vor allem unsere einsamen Momente größtenteils allein zu (er)tragen. Wir teilen die Spitze des Eisberges mit unseren nahen Freunden, alles andere (ver)bergen wir tief in uns drin. Orna steht keine beste Freundin zur Seite, stattdessen steht ihr ihr Stolz im Weg, der das Ruder übernimmt, als sich ihr Exmann mit neuer Familie plötzlich zurück in Tel Aviv meldet und Zeit mit dem gemeinsamen Sohn verbringen will.

Mishanis zweite Frauenfigur Emilia ist ebenfalls einsam. Aber im Gegensatz zu Orna, die in einem gefestigten sozialen Umfeld lebt, in dem sie sich zwar einsam fühlt, aber nicht allein ist, muss Emilia sich in einem für sie fremden Land wirklich allein durchschlagen. Sie stammt aus Lettland, hat keine Familie mehr und kam als Pflegekraft nach Israel. Zwei Jahre hat sie einen alten Herrn gepflegt, bei ihm und seiner Frau gelebt. Der Mann stirbt und Emilia muss sich eine neue Stelle suchen. Sie verliert nun gänzlich den Anschluss am sozialen Leben. Kann auch nach zwei Jahren noch kein hebräisch. Sucht keinen Kontakt zu den anderen Pflegekräften, die aus aller Herren Länder kommen. Sie scheint auf der Suche zu sein, welchen Weg sie als nächstes einschlagen soll. Beginnt Gottesdienste zu besuchen und sich einem polnischen Priester anzuvertrauen. An ihrer Figur offenbart der Autor eine gesellschaftliche Parallelwelt, die mich auf dem falschen Fuß erwischt. Während ich mit Orna mitfühle, mich gut in sie hinein versetzen kann, reagiere ich auf Emilias Lebensweg mit Schamgefühlen. Ich schäme mich nicht für Emilia, sondern für mich, weil ich dachte, eine traumatisierende Trennung wie Ornas ist das Schlimmste, was einem widerfahren kann. Ich erfahre letztlich zu wenig, um Emilia als Figur umfassend zu begreifen, aber ich bin beeindruckt von ihr und erschüttert von ihrem Schicksal.

Die dritte Frauenfigur muss selbst erlesen werden. Die Spoilergefahr ist mir hier zu groß. Dror Mishani hat mich mit seinem Roman überrascht, mehrfach. Er hat mir meine Voreingenommenheit aufgezeigt, mich beschämt, mich berührt, mich genervt und auch etwas ratlos und verunsichert zurück gelassen. Ob der Hype um sein Buch gerechtfertigt ist, vermag ich nicht zu sagen. Sein Erzählstil ist durchschnittlich, mir sogar an manchen Stellen zu flach. Aber die Art und Weise, wie er seine Geschichte zusammen mit seinem Blick auf die Gesellschaft darbietet, ist überzeugend.