Rezension

Drei Frauen, zwei Zeitebenen - männlicher Verrat und weibliche Solidarität

Die versteckte Apotheke -

Die versteckte Apotheke
von Sarah Penner

Bewertet mit 5 Sternen

London, 1791: In einer geheimen Kammer mischt die Apothekerin Nella nicht nur Heiltränke – hinter vorgehaltener Hand wird diese Kunde verbreitet, und in heimlich übermittelten Briefen werden Aufträge für Mittel erteilt, die für manche Männer tödlich sind. Als die junge Eliza im Auftrag ihrer Herrin in Nellas Leben tritt, ist auf einmal nichts mehr, wie es war. Nella lässt Eliza näher an sich herankommen, als ihr lieb ist, und auf einmal soll bei einem Auftrag kein Mann sterben, sondern eine Frau. Im London der Gegenwart kämpft die junge Caroline mit dem Betrug ihres Mannes und nutzt kurz entschlossen ihre Hochzeitsreise nach London, um ihr Leben und ihre Ehe zu überdenken. Als sie spontan bei einer Mudlarking-Tour, der Suche nach Dingen im Schlamm der Themse, ein altes Apothekerfläschchen findet, ist ihr Spürsinn geweckt und sie gräbt sich immer tiefer in die Geheimnisse der Geschichte....

Großartiger und spannender Roman mit zwei, nein drei faszinierenden Frauenfiguren, auf zwei Zeitebenen in drei verschiedenen Perspektiven erzählt, der wirklich von der ersten Zeile an fesselt und in die aufregende Welt der Pflanzen und Gifte entführt, aber auch in eine Welt der männlichen Dominanz, in der sich Frauen ein geheimes Netzwerk aufbauen und sich gegenseitig helfen und sich gegen ihre Peiniger wehren. Die Autorin versteht es meisterhaft, die beiden Zeitebenen und ihre Protagonisten autark und selbständig voneinander aufleben zu lassen und sie gleichzeitig subtil und stark miteinander zu verknüpfen. In dem Maße, wie Caroline mehr und mehr in das Zeitalter und in Nellas Geschichte eintaucht und über sie herausfindet, erfährt der Leser auf deren eigener Ebene von den wahren Ereignissen. Beide Ebenen und alle drei Perspektiven sind gleichermaßen spannend und kein Bericht wiederholt sich, man erhält vielmehr intensive Einblicke in die Gefühlswelt der jeweiligen Erzählerin, die allesamt in der Ich-Form erzählen und viel von ihren Ängsten und Geheimnissen preis geben. Der Leser ist aber dennoch nicht allwissend, erfährt Dinge in demselben Maße wie die Protagonisten. So ergibt sich nach und nach ein Bild der Ereignisse im Februar 1791 in einer Zeitspanne von nur zehn Tagen, in der sich für Nella und Eliza ihr Leben komplett verändert. Parallel dazu braucht Caroline fünf Tage, während der sie sich tief in die Geschichte des Fläschchens hineingräbt und unglaubliche Dinge entdeckt und nebenbei ihr ganzes bisheriges Leben auf den Kopf und in Frage stellt.

Das Motiv, das in beiden Ebenen die Hauptrolle spielt, ist die emotionale Abhängigkeit von Männern und ihr Verrat an Frauen. Die Dominanz und die Tatsache, dass sich Männer zu damaligen Zeiten nahezu alles erlauben konnten, führt zu dem geheimen Netzwerk der Frauen und letztendlich dazu, dass sie sich auf drastische Weise von ihren Peinigern befreien und die Männer so zu Opfern machen. Nella ist solidarisch mit Frauen, sie behandelt nur Frauenleiden und hilft ihren Auftraggeberinnen aus Gewalt und Abhängigkeit. Auch bei Caroline spielt die Emanzipation und die Befreiung von ihrem Mann eine große Rolle. Nach seinem Betrug besinnt sie sich auf einmal auf ihre vergessenen und unterdrückten Stärken und sie bekommt Hilfe von einer anderen Frau, auf die sich in Krisenzeiten ebenso verlassen kann wie Nella auf Eliza. Vertrauen, sich aufeinander einlassen, die Stärken ausspielen gegen alle Widerstände, das müssen all drei Frauen erst lernen, und sie lernen von ihren unverhofften Bekanntschaften, die zu Freundinnen werden, wie auch voneinander. Zwei weitere Motive ziehen sich wie ein roter Faden durch die zwei Zeiten. Sowohl bei Nella als auch bei Caroline spielt der Kinderwunsch eine große Rolle, mit dem Verrat der jeweiligen Männer wird jede von ihnen jedoch gezwungen, sich anderen Aufgaben zu widmen. Und auch die letzte Auftraggeberin tritt aufgrund des Verrats ihres Ehemannes und ihren eigenen Kinderwunsch an Nella heran, und auch ihr wird dieser Wunsch verwehrt. Das zweite, vielleicht etwas kleinere und eher mystische Motiv ist das der Geister. Eliza wird durch die Angst vor dem Geist ihres – von ihr ermordeten Herrn – getrieben und auch für Caroline schwebt der Geist Nellas und Elizas stets über ihr. Die drei Frauen sind jedenfalls aufs Engste miteinander verbunden, und Quintessenz ist und bleibt, dass Geheimnisse zu bewahren auf Dauer krank macht. Erst die Aufarbeitung schlimmer Erlebnisse und die Besinnung auf alte Stärken bringt die Frauen dazu, ihren eigenen erfolgreichen Weg zu gehen.

Fazit: Uneingeschränktes Lesevergnügen mit tollen Settings und Charakteren, wundervoller Schreibstil, ein stilvoll gebundenes Buch und herrliche Zusätze wie eine Karte des alten London und – skurrilerweise – Auszüge aus Nellas Giftapotheke sowie Rezepte – mehr geht nicht. Man taucht ein und vergisst alles um sich herum, es ist einfach, mit Nella, Eliza und Caroline mit zu leben und ihrem Streben, ihr Leben auf die Reihe zu kriegen, zu folgen. Einfach toll!