Rezension

Drei Männergenerationen, lesenswert und eingehend

Die Herzen der Männer
von Nickolas Butler

Bewertet mit 5 Sternen

Nelson ist 13, als er 1962 einen Sommer im Pfadfinderlager verlebt. Der eher schmächtige Junge hat keinen liebevollen Vater, der Choleriker neigt dazu seiner Rage mit dem Gürtel Ausdruck zu verleihen. Die Mutter, die Nelson abgöttisch liebt, ist aber zu schwach um sich dem Ehemann und Vater zu widersetzen. Nelson leidet darunter keine Freunde zu haben. Eine unheimlich berührende Szene schildert eine Geburtstagsparty, bei der der Junge vergeblich auf Besuch wartet. Der einzige, der schließlich erschient ist Jonathan, der einzige Junge, der hin und wieder Zeit mit Nelson verbringt, aber zumeist nur dann, wenn er sich einen Vorteil erhofft.

Nelson weiß, dass er anders ist als die andern Jungs im Lager, er sammelt verbissen Abzeichen, zeichnet sich durch Fleiß und Geschick aus, was ihn aber nur immer mehr zum Außenseiter macht. Heute würde man das, was mit ihm geschieht als Mobbing bezeichnen.

Mit einem Zeitsprung werden wir ins Jahr 1996 versetzt. Nelson hat sich mittlerweile als Kriegsheld in Vietnam hervorgetan und leitet nun das Pfadfindercamp seiner Jugend. Seine Kindheit und auch der Krieg haben ihn zu einem emotional distanzierten Einzelgänger gemacht

Bei einem Treffen mit Jonathan und dessen Sohn Trevor kommt es zu einer Eskalation zwischen diesen beiden.  Jonathan verkörpert den typischen Emporkömmling der 90er, dem Alkohol und außerehelichen Eskapaden nicht abgeneigt, während Trevor sehr ruhig und moralisch gefestigt wirkt.

Im dritten Teil befinden wir uns im Jahr 2019. Die Erzählperspektive wird plötzlich weiblich. Rachel, die schon in den e90ern Trevors Freundin war, ist nun mit ihrem Sohn Thomas im Camp, das nach wie vor von Nelson, der mittlerweile grauen Eminenz des Pfadfinderlagers, geleitet wird. Rachel sieht sich in diesem Sommer männlicher Arroganz und Übergriffigkeit ausgesetzt, bis die Situation außer Kontrolle gerät.

Drei Generationen, drei heranwachsende junge Männer, deren Werdegang durch ihre Väter, deren Präsenz beziehungsweise auch gerade ohne deren Präsenz geprägt wird. Was macht Erziehung, aber auch Vorbildwirkung anderer Männer, wie beeinflusst sie das Leben eines jeden. Um diese Themen kreist diese Buch.

Die wenigsten erwachsenen Männer kommen in diesem Buch gut weg. Es sind die jungen, noch nicht ausgereiften Burschen, deren Wertesystem noch intakt ist, mit Ausnahme von Nelson, der über allen als moralische Instanz schwebt.

Freilich schildert Nickolas Butler mit jeder seiner Figuren archetypische Männer, den Choleriker, den Kriegshelden, den Strategen, den Moralisten, den Blender, den Einzelgänger, den Macho. (Das muss wohl so sein, denn das Leben eines ganz durchschnittlichen, normal werteverbundenen Mann ohne nennenswerte Eigenschaften gibt wohl nicht viel her für einen Roman.)

Nicht alle Männer auf der Welt sind so und doch kennt wohl jede von uns solche Typen, die Stammtischparolen poltern, die mit ihren Anzüglichkeiten sich jedes Recht an einer Frau herausnehmen wollen. Es hat sie immer schon gegeben und seit der öffentlichen #metoo Debatte gerade immer noch sehr aktuell.

Nickolas Butler hat genau diese Typen gezielt herausgearbeitet. Der Mythos vom starken Mann beschränkt sich meist nur auf das physische.

Ich mochte die  Art zu erzählen, vor allem die Stellen, die Gefühllosigkeit der Personen oder deren Unmöglichkeit, Gefühle zuzulassen, beschreiben und dabei aber hoch emotionale Wirkung beim Lesen erzeugte. Ich litt mit dem einsamen Jungen Nelson mit, auch später fand ich diesen emotional so eingeschränkten Mann sehr viel Sympathie.

Das Übergreifen der drei Abschnitte über so viele Jahre hinwegineinander wurde durch diverse Rückblenden gut gelöst. Die ersten beiden Teile fand ich eingehender und stärker als den letzten. Der dritte Teil nahm für meinen Geschmack gegen Ende zu sehr an Tempo auf, welches nicht zu dem Rest des Buches passte. Ein bisschen weniger sich überschlagende Ereignisse hätten dem Buch besser gestanden.