Rezension

Drei Männerschicksale

Die Stille des Meeres -

Die Stille des Meeres
von Donal Ryan

Bewertet mit 3 Sternen

In Syrien war Farouk Alahad ein anerkannter Arzt. Doch der herannahende Krieg hat den 44-Jährigen aus der Heimat vertrieben. Auf der Flucht verliert er alles, auch seine Familie. Nun ist er in Irland gestrandet. Auch der 23-jährige Lawrence Shanley, genannt Lampy, hat Kummer: Seine Freundin hat ihn plötzlich verlassen und ist zum Studieren nach Dublin gezogen. Nach einem Leben voller Sünden ist auch John verzweifelt und hofft auf die Gnade Gottes. Etwas verbindet die drei Männer...

„Die Stille des Meeres“ ist ein Roman von Donal Ryan.

Meine Meinung:
Der Roman besteht aus vier Teilen. Die ersten drei Teile widmen sich jeweils einem anderen Protagonisten und sind nach diesen benannt, der vierte („Seeinseln“) führt diese Charaktere schließlich zusammen. Die Perspektive wechselt entsprechend. Dieser Aufbau erzeugt bis zum finalen Abschnitt den Eindruck, man lese einen Erzählband und keinen Roman, was mir leider nicht so gut gefallen hat. 

Der Schreibstil ist anschaulich, aber wenig variantenreich im Ausdruck und von mit „und“ verbundenen Schachtelsätzen geprägt. Die verschiedenen Teile sind sprachlich auf die jeweiligen Protagonisten abgestimmt.

Drei männliche Protagonisten stehen im Vordergrund. Während Farouk schnell mein Mitgefühl hatte und seine Tragödie auf mein Interesse gestoßen ist, waren mir Lampy und John durchweg unsympathisch. Allerdings werden alle Hauptcharaktere mit psychologischer Tiefe und durchweg realitätsnah dargestellt. Frauen spielen leider nur Nebenrollen. 

Aus inhaltlicher Sicht ist die Geschichte erstaunlich tiefgründig und facettenreich. Es gibt ein Potpourri an interessanten Themen wie Flucht, Betrug, Verlust, Trauer, Orientierungslosigkeit und einige mehr, die ich nicht vorwegnehmen möchte. Der Roman zeigt eine Bandbreite menschlicher Schicksale und ihre Verstrickungen auf. Er stellt dar, wie das Leben des einen mit dem vieler anderer zusammenhängt und wie sich eigene Entscheidungen auf andere auswirken können, die man selbst mitunter gar nicht kennt.

Der Roman beginnt sehr stark mit Farouks Geschichte, die mich gleichermaßen fesseln als auch emotional bewegen kann. Dann fällt der Roman in meinen Augen qualitativ ab. Der gesamte Mittelteil hat mich stellenweise gelangweilt, stellenweise abgestoßen. Erst zum Schluss wird das Lesen wieder zum Genuss. Dann nimmt das Geschehen merklich an Fahrt auf und es werden komplexe Verbindungen und Bezüge hergestellt, die mit überraschenden Wendungen einhergehen. Dieser Abschnitt hätte für meinen Geschmack gerne ausführlicher sein dürfen.

Der deutsche Titel weicht ein wenig vom irischen Original („From a Low and Quiet Sea“) ab. Allerdings erschließen sich mir beide Formulierungen nicht so ganz in Bezug auf den Inhalt des Romans, weil das Meer nur im ersten Teil eine größere Bedeutung hat. Dementsprechend finde ich das verlagstypische Cover zwar hübsch, aber nur hinsichtlich des Titels passend. 

Mein Fazit:
Mit „Die Stille des Meeres“ legt Donal Ryan einen Roman vor, der seine Stärken zu Beginn und zum Ende voll ausspielt und mich überraschen konnte. Aufgrund des langatmigen Mittelteils hat mich die Geschichte insgesamt aber enttäuscht, so dass ich sie nur bedingt weiterempfehlen kann.