Rezension

"Drinnen" ist alles ganz anders.

Wann wird es endlich wieder so, wie es nie war - Joachim Meyerhoff

Wann wird es endlich wieder so, wie es nie war
von Joachim Meyerhoff

Ein Buch vom Leben und Sterben – das könnte man über dieses Buch sagen. Doch das wäre viel zu kurz gegriffen, zwar wird in diesem Roman auch gestorben und das nicht einmal ganz einfach, aber es wird vor allen Dingen gelebt. Allerdings unterscheidet sich das Leben von Meyerhoffs Familie an entscheidenden Eckpunkten von dem Leben anderer Familien ganz grundlegend.

Joachim, genannt Josse, wächst als Jüngster von insgesamt drei Brüdern in einer zumindest äußerlich heilen Familie auf. Seine Kindheit und Jugend erlebt er auf dem Gelände des Landeskrankenhauses Hesterberg in Schleswig, einer Einrichtung für Kinder- und Jugendpsychatrie. Mittendrin steht das Privathaus der Familie. Der Vater, Direktor dieser Einrichtung, beruflich erfolgreich und kompetent, erlebt seine persönlichen Defizite im Alltag und in der Familie. Hier ist die Mutter diejenige, die alle Fäden in der Hand hält und den Kindern auch die Orientierung für ihr Leben vermittelt.
Josse erzählt diesen autobiographischen Roman in der Ich-Form, was den Ereignissen schon von vornherein eine beeindruckende Authenzität verleiht. Man erlebt mit ihm gemeinsam, wie er voller Stolz als junger Grundschüler „seinen ersten Toten findet“ und jäh enttäuscht ist, dass man ihm keinen Glauben schenkt und dies lediglich als Ausrede für sein Zuspätkommen wertet. Gleichzeitig ist er aber auch voller Furcht, denn mit dieser Mitteilung muss er letztlich auch seiner Mutter offenbaren, dass er einen eigentlich verbotenen Schulweg gewählt hat, als er endlich diesen ohne Begleitung absolvieren konnte.
Schmunzeln und Lachen, aber auch Mitgefühl und Tränen liegen in diesem Buch nah beieinander. Das Leichte und Amüsante überwiegt aber trotz der Ernsthaftigkeit, die hinter so mancher lustigen Begebenheit steckt.
Die Tricks, mit denen man den Zeitpunkt des abendlichen Zubettgehens noch ein wenig hinauszögern kann, weil es doch einfach grässlich ist, Spielfilme immer nur bis zur Hälfte sehen zu können, sind heute so nicht vorstellbar, weil das eigene Fernsehgerät in vielen Kinderzimmern mehr oder weniger normal geworden ist, aber gerade etwas ältere Leser werden sich an diese Situationen gut erinnern können.  Die Freundschaften mit einigen Insassen der Klinik, die sich tagsüber frei auf dem Gelände bewegen dürfen, bedeuten Josse meistens mehr als die Kontakte zu den Schulkameraden und die Gespräche, die er mit diesen von vielen Betrachtern als „Verrückte“ abgestempelten Freunden führt, sind von einer solch tiefen Normalität und Menschlichkeit geprägt, dass ich nur noch staunend berührt sein konnte.

Und dann gibt es unzählige wirklich komische Situationen in diesem Buch. Laut gelacht habe ich, als Josse sich erinnert, wie einmal der Ministerpräsident des Landes Schleswig-Holstein anlässlich der Einweihung eines Neubaus die Klinik besucht. Die Überreaktion seiner Leibwächter auf nur ein falsches Signal eines völlig harmlosen Insassen lässt Bilder im Kopf des Lesers entstehen, die man sich rückblickend in die politische Landschaft der Siebziger und Achtziger sehr gut vorstellen kann.

Ein rundum geglücktes Buch, dem es mühelos gelingt, das eigene Weltbild ein wenig zu verrücken. Sehr zum Lesen empfohlen.