Rezension

Düstere Lebensschnappschüsse

Florida - Lauren Groff

Florida
von Lauren Groff

Bewertet mit 3.5 Sternen

"Er sah sich selbst als Insel mitten im Ozean, ohne jede Hoffnung, in der Ferne je eine andere Insel oder auch nur ein vorbeifahrendes Schiff zu sichten."  S.37

Florida, auch genannt der Sunshine-State. Im ersten Momente denkt man an Urlaub, Strände, Erholung und eben Sonnenschein. Doch Lauren Groff entführt den Leser in eine Welt des "gefährlichen" Floridas. Nicht zwangsläufig nur aufgrund der Schlangen und Alligatoren, sondern aufgrund der Lasten, welche die jeweiligen Protagonist*innen mit sich herumtragen.
Die elf Erzählungen sind düster, sorgen für wenig Aufheiterung, beginnen aber relativ unspektakulär. Es wird von dem Alltag erzählt, beiläufige Sachen werden erwähnt, Situationen nahegelegt, von denen man denkt, sie seien unwichtig. Am Ende fügt sich immer alles so zusammen, dass man erahnt, worauf das gesagte hinauslaufen soll und zu einigen Geschichten fühlte ich mich durchaus verbunden. Allerdings sind diese unaufgeregten Darlegungen manchmal so "ruhig", dass man nicht genau weiß, was man damit anfangen soll. Man liest einfach weiter, weiß aber nicht genau, ob man davon etwas mitnehmen kann.
Wenn man dies auf die Figuren bezieht, ist das natürlich großartig umgesetzt, denn genau das ist es, was sie empfinden. Eine stete Frage danach, was sie noch erwarten können, ob es für sie ein gutes, glückliches Ende geben wird. Für die Leser*innen hingegen fehlt es den Erzählungen da manchmal ein wenig an Hilfestellungen, damit man nicht das Gefühl einer Gleichgültigkeit verspürt. Denn an der einen oder anderen Stelle verflüchtigt sich der Impuls bei den Figuren bleiben zu wollen, man weiß nicht was sie von einem verlangen oder wollen und entzieht sich ihrer "Botschaft". Oftmals blieb ich dabei sogar einfach nur mit einem traurigen Gefühl zurück.

"Alles schimmerte, aber man konnte es nicht anfassen, als wäre es hinter Glas." S.71

Es gab aber eben durchaus auch Erzählungen, die ich sehr gelungen fand. Dort hat diese zurückgenommene Atmosphäre, gepaart mit der typischen (auch gefahrbereiten) Landschaft Floridas und der Sehnsüchte der Figuren wunderbar harmonisiert. Auch hier bleiben diese Geschichten meist düster, aber sie tragen so ein ganz leichtes Flackern in sich, als könnte man den Sonnenschein kurz aufleuchten sehen. Eine komplette Auflösung bekommen die Leser*innen jedoch nicht immer, denn vielleicht verschwindet das Licht wieder hinter einer dunklen Wolkendecke.
Ich habe mir in dem Buch sehr viele Stellen angemerkt, die ich sehr schön, stimmungsvoll, klug oder einfach als passend empfunden habe, daher bin ich natürlich der Meinung, dass die Erzählungen lesenswert sind. Für mich hat aber noch das kleine Fünkchen gefehlt, damit ich sagen kann, dass mich das Buch komplett überzeugt hat. Schade fand ich zudem, dass rassistische Begriffe fallen, wahrscheinlich der "Authentizität der Zeit" wegen. Hätte für meine Verhältnisse nicht sein dürfen, wo Groff doch sonst darauf geachtet hat, sich vernünftig auszudrücken.

Was ich an den Geschichten besonders mochte, war die Verbindung zwischen dem alltäglichen Leben, seinen Herausforderungen und der Literatur. In jeder Erzählung finden sich Bücher, die einen besonderen Wert für die Personen haben. Die letzte Erzählung "Yport" fand ich dahingehend noch einmal besonders interessant. Hier steht im Fokus, ob Altgeliebtes und Hochgelobtes für immer ein Anker sein kann, oder ob man sich nicht lieber davon trennen sollte, wenn man merkt, dass es problematisch und belastend ist.

"'Sag mal. Meinst du, es gibt noch gute Menschen auf der Welt?

            O ja, sagte er. Milliarden. Das Problem ist nur, dass die schlechten so viel mehr Lärm machen." S.224

 

INSGESAMT: Ein Erzählband mit einem eher düsteren, nachdenklichen Setting. Einige Geschichten konnten mich überzeugen und mitreißen, bei anderen hingegen fehlte mir das Durchhaltevermögen komplett dranzubleiben und nicht abzuschweifen. Thematisiert die Ängste, Hoffnungen, Tragödien und kleinen Lichtblicke der Protagonist*innen und vereint sie mit der Kulisse des Sonnenstaates, der sich hier unteranderem durch die heimischen Tiere als eher gefährlich präsentiert. Interessant für alle, die gerne von Lebensschnappschüssen lesen, welche nicht gänzlich auserzählt / aufgelöst werden.