Rezension

Dunkle Geheimnisse

Klammroth - Isa Grimm

Klammroth
von Isa Grimm

Auf dem Cover sieht man die Szene, mit der alles beginnt: ein junges Mädchen wandert im Feuerschein aus einem Tunnel ins Tageslicht. Jeden Moment werden jetzt heftige Explosionen den Tunnel hinter ihr erschüttern, und die feurige Druckwelle wird sie beinahe von den Füßen reißen und ihre Haare lichterloh in Brand stecken...

Die Autorin beschreibt diese Szene mit einer seltsamen Klarheit, fast sogar Leichtigkeit - und da hatte sie mich auch schon mit ihrem wunderbaren Schreibstil begeistert und fest gepackt. Sie schildert die Ereignisse mit einer ganz eigenen Stimme und interessanten und originellen Bildern, so dass die Geschichte fast schon etwas Märchenhaftes an sich hat. Der scheinbar verfluchte Tunnel, die möglicherweise böse Stiefmutter, die tapfere (?) Überlebende, der seltsame uralte Mann... Das alles könnte fast schon eine Erzählung der Gebrüder Grimm sein, nur in modernisierter Form.

Und dennoch ist nichts daran abgedroschen oder schon tausendmal gehört - zu diesen märchenhaften Elementen kommt ein bisschen Mystery, eine gute Portion Grusel, und auch einige ganz realistische Themen wie das Leben mit Schuldgefühlen (ganz besonders die Art Schuldgefühl, an dem Überlebende einer Katastrophe oft dafür leiden, dass sie nicht auch gestorben sind), Sucht, Selbstverletzung, Depressionen... In meinen Augen eine sehr ansprechende, wenn auch nicht immer leicht zu verdauende Mischung!

Die Spannung variierte für mich im Laufe des Buches sehr stark. Im ersten Drittel hielt mich vor allem der Schreibstil bei der Stange - ich konnte gar nicht genug davon bekommen, und so waren diese Passagen für mich alleine dadurch schon spannend. Den unterschwelligen Grusel fand ich in diesem Teil des Buches auch sehr angenehm! Im mittleren Drittel wurde die Geschichte für mich zeitweise plötzlich eher schleppend und konnte mich nicht 100%ig packen (dafür gab es einen leichten Punktabzug), aber im letzten Drittel stieg die Spannung dann wieder stark an, und auch die gruseligen Elemente wurden drängender und temporeicher. Außerdem baut die Autorin hier noch ein paar Wendungen ein, die ich so nicht kommen sehen habe, und nach denen ich erstmal nochmal durchs Buch blättern musste um zu sehen, welche Hinweise ich übersehen habe - denn es gibt tatsächlich welche! Beim Ende bin ich mir allerdings immer noch nicht sicher, ob es mir vollkommen gefällt... Es ist auf keinen Fall schlecht, aber es blieben noch Fragen offen.

Ich habe mich mehr als einmal bei dem Gedanken ertappt, dass die Hauptfigur, Anais, auch der Feder von Gillian Flynn entsprungen sein könnte - denn auch diese Autorin schreibt über kranke, kaputte, depressive, gestörte, traumatisierte Heldinnen, die neben sympathischen meist auch ernsthaft abschreckende Eigenschaften besitzen. Anais gehörte zu den Überlebenden der Katastrophe, die am glimpflichsten davongekommen sind: ihre Kopfhaut ist komplett verbrannt, aber wenn sie eine Perücke trägt, fällt das gar nicht auf. Aber ihre Mitmenschen in der kleinen Stadt, in der die Tragödie passiert ist, haben ihr nie wirklich verziehen - vor allem, weil sie später ein erfolgreiches Buch darüber geschrieben und veröffentlicht hat -, und sie sich selbst wohl auch nicht. Daher hat sie die Stadt so bald wie möglich verlassen, und lebt seither ein ganz anderes Leben als Bestsellerautorin und Performance-Künstlerin... Und nicht umsonst sind ihre Auftritte oft verstörend und haben mir Blut, Schmerz und Tod zu tun. Ich fand sie nicht immer sympathisch, aber immer interessant. Und oft habe ich wirklich mit ihr mitgelitten.

Auch die anderen Charaktere sind gut geschrieben, obwohl sich die Geschichte nur auf eine Handvoll konzentriert. Mehr möchte ich hier noch nicht verraten, denn zu leicht könnte ich dabei ausversehen spoilern!

Es gibt einen Anflug von Romantik, aber eine voll ausgewachsene Liebesgeschichte sollte man hier nicht erwarten. Wie alles andere in diesem Buch wird auch sie von vergangenen Tragödien, Schuldgefühlen, Angst und Zweifeln überschattet - und das fand ich gut so. Klammroth ist nicht das richtige Buch für Kitsch!

Ein dunkles Märchen, eine Tragödie mit übernatürlichen Elementen, die Geschichte einer Stadt, die an Schuldgefühlen, Hass und Neid krankt, eine ernsthaft gestörte Heldin, die die Katastrophe nie mehr wirklich losgelassen hat... Und noch vieles mehr. Man sollte keinen klassischen Thriller erwarten sondern einfach offen der Dinge harren, die da kommen werden - es lohnt sich meiner Meinung nach!