Rezension

Durch die Seiten geflogen...

Fliegende Hunde - Wlada Kolosowa

Fliegende Hunde
von Wlada Kolosowa

Bewertet mit 4 Sternen

…und doch würde ich nicht sagen, dass das Buch per se grandios ist.

Es ist aufrührend und doch mit Vorsicht zu genießen. Aber genug der Phrasendrescherei.

Worum geht es?

Die beiden sehr eng miteinander verbundenen (wörtlich zu nehmen) Freundinnen Oksana und Lena wachsen gemeinsam in St. Petersburg auf.

Oksana, eine wissbegierige junge Frau, sehnt sich verzweifelt nach den Berührungen und intimen Nächten mit ihrer Freundin. Berührungen, die es so in der Weltanschauung der St. Petersburger nicht geben sollte. Lena, eigentlich eine unscheinbare junge Frau, ist gerade aufgrund ihrer Unscheinbarkeit sehr gefragt auf dem chinesischen Modelmarkt und verlässt die Vertrautheit ihrer Freundin und die Vorhersehbarkeit ihres Lebens in St. Petersburg, um in Shanghai als Model zu arbeiten.

Während die eine sich verzweifelt sehnt, stößt die andere sie von sich und schafft ein Ungleichgewicht, dass eine normale Freundschaft nie mehr zulässt.

 

Es ist schon höchst faszinierend, wie die Autorin ihre Charaktere agieren lässt. Die eine will das, was die andere hat und die andere will unbedingt weg von alle dem.

Oksana, und damit wohl der spannendere Part der beiden, sucht sich in der Abwesenheit der Freundin eine Möglichkeit, ihr nacheifern zu können, ihre knabenhafte Figur zu erlangen. Obwohl ich bei ihr nie den richtigen Wunsch verspüren konnte, St. Petersburg tatsächlich zu verlassen.

Im Internet stößt sie auf eine dubiose Website, in welcher User die Zeit der Leningrader Besetzung auf einen Podest heben und die Umstände, unter denen die Menschen leben mussten, nachahmen. Dabei geht es vordergründig darum, so viel Gewicht wie möglich zu verlieren und sich so spartanisch wie möglich, zu „ernähren“ (gekochtes Leder, Pampe aus Papier, Gras usw.). Oksana, getrieben von dem Hunger nach ihrer Freundin, verliert sich zunehmend in dieser krankhaften Nachahmung, wird Expertin für die Verzweiflungstaten der Menschen damals.

 

Lena als Kontrast dazu lebt in einer medialen Scheinwelt, in der Blässe und Dürre zurzeit gefragt sind. Die Models ernähren und übergeben sich aus anderen Gründen, sie müssen einem Ideal entsprechen, ansonsten schickt man sie aus der armseligen Modelwelt in ihre armselige Heimat zurück. Mit dem Unterschied, dass sie hier ein wenig Prestige genießen, sich dafür oft aber auch prostituieren und einem ungeheuren Druck stand halten müssen.

 

Die Autorin hat die beiden Motive der Charaktere und die Extreme, in die sie sich entwickeln, fabelhaft herausgearbeitet. Außerdem war der Hunger als Leitmotiv hier allgegenwärtig und auf so vielen Ebenen zu verstehen.

Nachdem man dieses Buch gelesen hat, überlegt man sich vermutlich zwei Mal, wie man mit der Verschwendung von Lebensmitteln umgeht.

 

Zwar muss ich sagen, dass die Prämisse sich stark bei mir eingebrannt hat, die Geschichte mich aber nur oberflächlich bewegen konnte. Ob es am Schreibstil der Autorin oder an etwas anderem lag, kann ich dabei nicht benennen. Ihre Herangehensweise ist weder verharmlosend, noch beschönigend, im Gegenteil! Sie treibt es in beiden Fällen auf die Spitze. Möglicherweise lag es daran, dass das Ende nicht ganz meinen Nerv getroffen hat. Es war zu versöhnlich, zu „brav“.

Aber ich bitte jeden, den die Prämisse der Geschichte anspricht, sich selbst ein Bild davon zu machen!