Rezension

Durchwachsen

Der Kampf geht weiter -

Der Kampf geht weiter
von Joe Chialo

Bewertet mit 3 Sternen

Nicht wirklich meine Themen (Musikbranche, katholische Kirche). Sprachlich m.E. zu hip/flapsig bisweilen für einen Berliner Senator.

'Der Kampf geht weiter'. Hat er gut geschrieben, mit diesen Worten überreichte mir ein Freund Chialos Autobiographie: Lies mal! Ich tat, wie geheißen. Ich las.

Joseph (Joe) Chialo wird 1979 als Sohn eines afrikanischen Botschafters in Bonn geboren. Er bezeichnet sich selbst als Afropäer. Sein Traum ist es, ein eigenes Musiklabel zu gründen, auszubauen und afrikanische Musik nach Europa zu exportieren. 2016 tritt er in die CDU ein, in dem Jahr, in dem sein Vater Isaya stirbt.

Er wird aus WERTschätzung Mitglied der Partei, aus Wertschätzung für Merkels Politik und ihren Umgang mit den Flüchtlingen. Für ihr Handeln als Christin nach dem Motto: Liebe Deinen Nächsten. Ich gehe mit Chialo allerdings nicht d'accord, dass wir die Flüchtlings-Herausforderung ('Wir schaffen das!') gemeistert hätten! Das behauptet er.(S. 70).

In seiner Autobiographie streut der own-voice-Autor klare Botschaften, oft in Briefform: Deutschland soll in die Entwicklung Afrikas investieren und die Entwicklungshilfe gänzlich abschaffen, weil ineffizient. Der Motor der Volkswirtschaft sei Afrika, 'die demographische Dividende' (19). China, die Türkei, Russland und Indien hätten das schon lange begriffen, investieren in Afrika, während Deutschland weiterhin mit Augenklappen und Ohrenstöpseln dahin vegetiert. Mir als Leser wird buchstäblich vor Augen geführt, dass ich solches vielleicht schon einmal gehört, aber es mir nicht derart bewusst war. Einiges über Afrika war unbekannt, Flüchtlinge wurden teilweise als Plage betrachtet, die es wie Schädlinge auszumerzen gilt. Schadenminimierung. Afrika wurde selten bis nie als Chance gesehen, Chance für uns selbst, Europa, Deutschland.

Als unmittelbar Betroffener und Experte für Afrika und auch Deutschland schreibt Chialo authentisch und überzeugend, wahrhaft. Wir lernen Afrika näher kennen, das Dorf, in dem Chialos Familie lebt, ihre Geschichte. Das Dorf Liputu, in Deutsch-Ostafrika, zu dem das heutige Tansania gehört, bis 1918 deutsche Kolonie, bevor es an die Briten überging und in den 60 iger Jahren unabhängig wurde, wir erfahren vom Wissenshunger Chialos Vater Isaya. Eine Belesenheit, die sich auch auf Chialo überträgt. Nie vermutet, dass man in Ost-Afrika deutsche Weltkultur konsumiert, nahezu verschlingt! Isaya studiert in Marburg Vwl, Deutschland, das Land der Dichter und Denker hatte ihn von jeher fasziniert, 1966 macht Chialos Mutter eine Ausbildung als Krankenschwester in München. Ende der 60iger Jahre wird Chialos Vater nach Bonn versetzt ('Meine Mutter kämpfte sich zwischen Sülze und Leberwurst durch das Überangebot der deutschen Lebensmittelindustrie', 47) , die Kinder spielen im Regierungsviertel, Bonner Lokalkolorit, teilweise zurück nach Afrika beordert. Etwas geschockt bin ich über die autoritäre, bisweilen gewalttätige Erziehung der Kinder, auch wenn das in Deutschland in jenen Jahren ebenfalls Gang und Gebe war, handfeste Züchtigung, es zu lesen, ist etwas anderes.

Die Kapitel-Titel wie 'Bonanza' (gemeint das Fahrrad) und 'Blauer Bock' sind amüsant, und versetzen einen Baby-Boomer gleich gemütlich sinnierend in die Zeit der eigenen Jugend.

1979 wird Isaya nach Schweden versetzt, der 8jährige Joe verbleibt mit seinem Bruder Jerome allein in Deutschland. Sie sollen Bildung und Erziehung, Zucht und Ordnung erlernen und werden dem Pater Karl Oerder (verstorben 2019) anvertraut, der eine zentrale Person in Joes Leben wird, ein Ziehvater, eine Leitplanke und ein Mentor, der für ihn die entscheidenden Weichen stellt und die geistige Basis für sein weiteres Leben schafft(100). Es folgt ein Internatsleben im Kloster Marienhausen bei den Salesianern in Rüdesheim am Rhein (Lernen, beten, Regeln). Die Eltern sind weit weg, es kommt zu einer leichten Entfremdung ('Meine Realität wurde immer deutscher', 67). Dann der Wechsel aufs Gymnasium in Neunkirchen-Seelscheid. Essen und Musik bestimmen das Leben. Nett: 'Wir essen jetzt!' (Der Satz der Mütter und die Bedeutung für fremde, anwesende Kinder hatte dieselbe Rolle in unserer Familie gespielt, typisch deutsch eben).

Es ist gleichermaßen bemerkenswert wie beschämend, dass sich ein derart begeisterungsfähiger und wissbegieriger Afroeuopäer in der deutschen Geschichte besser auskennt als so mancher Gymnasiast, der lückenhaftes Wissen nur mechanisch auswendig lernt, in sich hineinfrisst, um es beim deflationären Abitur auszukotzen und dann möglichst schnell für immer zu vergessen. Ja, ja , das deutsche Schulsystem, eine andere Baustelle.

 

Joe macht zunächst eine Ausbildung als Zerspanungsmechaniker, kein Zuckerschlecken, der Pater möchte, dass er das goldene Handwerk, die Arbeit pur kennenlernt und für den Autor und seinen weiteren Lebensweg ist es ein Gewinn. Chialo möchte uns Deutschen in seinem Buch die wirkliche Arbeit wieder schmackhaft machen. Ich denke, uns Alten schmeckt sie, es wäre die Generation Z und auf sie folgende mit ihrem überbordenden Hedonismus, an die der Autor sich unmittelbar wenden sollte (sie werden das Buch aber nicht lesen und don't worry ich habe selbst eine Tochter der Generation Z, weiß also, wovon ich rede und ja, in diesem Fall sind auch wir Eltern schuld).

Im weiteren Verlauf seines Buch schildert Chialo die vielen Stationen seinen abwechslungsreichen (inhaltlich und regional) Lebensweges bis hin zum eigenen Musik-Label AIRFORCE1.

Mir persönlich ist es streckenweise viel zu viel Name-hopping. Aber vielleicht muss das so.

Oft betrachten wir Afrika und die ganze Flüchtlings-Problematik von außen, mit Arroganz von oben, sehen die Hülle der Menschen, ihre mangelnden Sprachkenntnisse und ihre Bedürftigkeit, die wir als reine Last empfinden.

Das Buch ist flüssig geschrieben und gut lesbar, auch durch die kurzen Kapitel. Es ist auch eine wenn auch kritische (Missbrauchsfälle) Laudatio auf die (katholische) Kirche, die sich unbedingt reformieren müsste, um wettbewerbsfähig zu sein, glaubwürdig zu werden, als Heimat, Chialos Heimat.

Die Autobiographie sprüht nur so von Energie und Optimismus.

Ich betrachte die Situation weitaus pessimistischer als der Autor, mit der aktuellen Regierung, der Mentalität (German Angst) der Teutonen, ihrem ewigen Sicherheitsdenken und tatenlosen Gerede, auch wenn ich kein Lamoyeur bin und die Ansicht teile, dass man in seinem eigenen Mikro-Kosmos anders denken und leben kann, aber im Großen und Ganzen sind uns die Hände gebunden. Man fühlt sich macht- und hilflos, als Zaungast des globalen Untergangs, v.a. des menschlichen Wertesystems und einer Art Moral.

Diese Autobiographie ist sicher lesenswert. Mir ist der Sprachstil streckenweise zu flapsig, zu hip, passt sicher zum Charakter des Autors. Auf jeden Fall haben wir es mit einer beeindruckenden, kämpferischen Persönlichkeit zu tun. Chialo ist seit 2023 Berliner Senator für Kultur und gesellschaftlichen Zusammenhalt. Sein Kampf geht weiter, für eine bessere Welt, möge er noch viele Anhänger finden, allein gegen 80 Millionen (8Milliarden) wird schwierig.