Rezension

Durchwachsen

Ein neues Blau - Tom Saller

Ein neues Blau
von Tom Saller

Bewertet mit 3 Sternen

Tom Saller erzählt seine Geschichte sprunghaft, nicht-chronologisch in Episoden und sehr eigenwillig – zumindest bis etwa zur Hälfte des Buches. Wir bekommen einen Teil von Lilis Lebensgeschichte erzählt. Sie wächst mit ihrem Vater und dem Asiaten Takeshi in Berlin auf, nachdem ihre Mutter gestorben ist, als sie gerade einmal 6 Jahre alt war. Sie lernt in Halle das Handwerk des Porzellanbrennens und -bemalen. Da ihr Vater Jude ist und sie zudem einen Juden heiratet, muss sie schließlich während der NS-Zeit aus Berlin fliehen. 1985, als der Asiate Takeshi gestorben und Lili einsam ist, findet die Schülerin Anja als Gesellschafterin den Weg zu Lili…

Der Autor hat eine Gabe, ästhetisch schöne Sätze zu formulieren und mit der Sprache die Atmosphäre der jeweiligen Zeit einzufangen. Das macht einen Teil des Charmes des Buches aus. Da es mir zu Beginn einfach Spaß gemacht hat, der Sprache und den Formulierungen zu folgen, bin ich sehr gut in das Buch hineingekommen. Besonders toll fand ich dabei den Unterschied, wenn er sich im Jahr 1985 befunden hat. Sofort hat sich die Sprache verändert. Sie hat sich der Zeit angepasst, war weniger geschliffen und flapsiger. Die 18-jährige Anja hat im Jargon eines Teenies der 80er Jahre gesprochen, wie sich das gehört. Sobald wir wieder in das Berlin der 20er bzw. 30er Jahre zurückgekehrt sind, wurde der gesamte Stil wieder getragener, gewählter und geschliffener. Durch den Kontrast fiel es mir um so deutlicher auf.

Leider fand ich die erste Hälfte des Buches jedoch sehr ereignisarm und langweilig und hätte das Buch schon fast abgebrochen. Denn auf der Erzählebene passierte einfach zu wenig. Für mich interessant wurde das Buch erst, als Lili die Familie van Pechmann kennenlernt und anfängt, sich für Porzellan zu interessieren. Gleichzeitig kommt die NSDAP langsam an die Macht und die Juden in Deutschland spüren nach und nach, wie ihr Leben erst eingeschränkt wird und dann bedroht.

Für einen spannenden Roman hätten die Ereignisse zu Beginn gestrafft werden sollen. Dafür dürfte zum Ende hin einiges ausführlicher erzählt werden, wie z. B. Lilis Leben und Flucht mit ihrem Mann. So finde ich das Buch jedoch leider nur durchwachsen und unausgewogen. Lediglich die Kunst des Autors, schön zu formulieren und tolle Sätze zu schreiben, hat einiges rausgerissen.