Rezension

Dystopie der anderen Art

Eine amerikanische Familie - Lionel Shriver

Eine amerikanische Familie
von Lionel Shriver

Bewertet mit 3 Sternen

Die Idee dieses Buches ist schön. 2029 bricht der Dollarkurs ein. Eine verheerende Inflation bringt in Amerika alles zum Erliegen. Nichts geht mehr. Selbst der schwerreiche Douglas Mandible, auf den sich seine Familie immer als Notnagel verlassen hat, hat gar nichts mehr. 

Die Mitglieder dieser amerikanischen Familie sind ausgesucht originell. Da haben wir den Urgroßvater Douglas, den Patriarchen mit Geld, die Tante im Rentenalter, die noch immer von ihrem vergangenen Ruhm als Schriftstellerin zehrt, die Schwestern Florence und Avery, die sich nicht grün sind, weil die eine snobistisch und die andere viel zu alternativ ist. Auf ihren Aussteigerbruder sehen sie beide herab. Deren Kinder sind entweder verwöhnt, altklug oder gelangweilt. 
Es ist spannend und auch witzig, wie sie alle mit dieser Krise umgehen. Die Lage wird immer schlimmer, bis sie nahezu absurde Formen annimmt.

Mit gnadenlosem Sarkasmus erzählt Lionel Shriver diese Geschichte und verpasst dem amerikanischen System derbe Hiebe. Hier bekommt jeder sein Fett weg. Ob es um Wirtschaft geht oder das Steuersystem, Rassismus, Zuwanderer, Elitedenken, es wird alles thematisiert und zu allem Überfluss geht es den Mexikanern plötzlich besser als den US-Bürgern, nur lassen sie niemanden einwandern. Dies ist eine Dystopie der anderen Art.

Das ist hübsch, das macht Spaß und schön erzählt ist es auch. Es wäre ein großartiges Buch, wenn nicht zwischendurch immer wieder seitenlang politisiert würde. Wieder und wieder diskutiert irgend jemand lang und breit die Lage, das Finanzsystem, die Börsenkurse oder sonstige wirtschaftliche Belange. Und die ersten zwei- drei Seiten lang kann man sich auch darüber amüsieren, aber sie diskutieren wirklich ausführlich. Mag sein, dass sich manch einer daran ergötzen kann, mir war es sehr oft zu viel und ich habe öfter mal einige Seiten weitergeblättert.
Ich war beim Lesen hin- und hergerissen. Einerseits ist die Geschichte fesselnd, die Figuren toll, das Geschehen irrwitzig, andererseits bremsen immer wieder lange Referate die Handlung aus und langweilen dann doch. Ein beherzter Rotstift hätte da Wunder wirken können.

Unterm Strich ist es ein gutes Buch, beinahe großartig, man braucht nur entweder viel Geduld oder großes Interesse an finanzpolitischen Finessen um es gänzlich zu genießen.

Kommentare

wandagreen kommentierte am 10. Februar 2018 um 08:44

Köstlich. KÖSTLICH!

Emswashed kommentierte am 10. Februar 2018 um 09:10

Wie  wäre es, wenn du diese Passagen selbst streichst und das Buch jemandem deines Vertrauen zum Lesen gibst? Anschließend könnte man darüber diskutieren, ob etwas gefehlt hat.

Im Handel hätte ich das Buch jetzt ignoriert, aber du hast mich neugierig gemacht!

Sursulapitschi kommentierte am 10. Februar 2018 um 09:23

Ha, ha, das ist eigentlich eine spannende Idee, aber dann müsste ich es ja nochmal lesen und das sehr intensiv. So toll war es dann doch nicht. :-)