Rezension

Dystopischer, politischer Familienroman

Heimatsterben -

Heimatsterben
von Sarah Höflich

Bewertet mit 3.5 Sternen

Nachdem Tilde Ahrens schwer stürzt, liegt sie im Sterben auf Intensivstation. Kurz vor ihrem Tod bittet sie ihre Enkeltochter Hanna, die Familie auch nach ihrem Ableben zusammenzuhalten und vor allem auf Hannas jüngere Schwester Trixie Acht zu geben. Gar nicht so einfach, denn diese ist mit dem Kanzlerkandidaten der „Bürgerpartei“ verheiratet. Und Felix von Altdorffs politische Sichtweisen kann Hanna so überhaupt nicht teilen. Als dieser zum neuen Bundeskanzler gewählt wird, steht Hanna in der Pflicht und übernimmt entgegen ihrer eigenen Werte und Überzeugungen Parteiarbeit. Eine explosive Mischung, zumal die faschistische Strömung in der „Bürgerpartei“ immer weiter Oberhand gewinnt… 

„Heimatsterben“ ist das Romandebüt von Sarah Höflich. Es handelt sich um einen Familienroman, der gleichzeitig eine durchaus denkbare politische Dystopie in Deutschland erzählt. 

Die Geschichte wird sehr lebensnah dargestellt, was sie umso realistischer und damit erschreckender wirken lässt. Sie beginnt im Jahr 2023 kurz vor der Wahl des Bundeskanzlers, nachdem die Corona-Pandemie zur Wirtschaftskrise geführt und fortsetzende Flüchtlingsströmungen das Land entzweit haben. Als Haupthandlungsstrang begleitet der Leser vorwiegend Hanna Ahrens, die versucht, nicht nur in ihrer zerrütteten Familie, sondern auch in der Welt eine Heimat zu finden. Nach der Wahl von Felix von Altdorff zum Bundeskanzler nehmen die Regularien und Gesetze in Deutschland zunehmend konservative, nationalistische und durch den Einfluss der hinter ihm stehenden Strippenzieher auch faschistische Formen an. Die verschiedenen Charaktere sind dabei in „Graustufen“ so gut ausgearbeitet, dass man die jeweiligen Handlungen und Motive nahezu „nachvollziehen“ kann. Sehr hilfreich habe ich den im Einband aufgeführten Stammbaum der Großfamilie empfunden – so hatte man bei den vielen Figuren schnell einen Überblick. 

Der Roman ist in 3 Abschnitte unterteilt, die jeweils in kurze Kapitel untergliedert sind. Die Geschichte wird aus wechselnder Perspektive der Romanfiguren geschildert und bleibt hierdurch stets abwechslungsreich und spannend. Durch geschickte Cliffhanger innerhalb der Kapitel und interessante Nebengeschichten, die zur Haupthandlung zusammenfließen, wird schnell eine fesselnde Spannung generiert. Allerdings liegt der Fokus überwiegend bei der persönlichen, familiären Geschichte von Hanna Ahrens. Hierdurch hatte ich mehrfach das Gefühl, eher einen Frauenroman und weniger einen zeitgenössischen, politischen Roman zu lesen. Der politische Anteil hätte für meinen Geschmack gerne noch deutlich ausgeweitet werden können. Die Grundidee des Romans hat mich jedoch sehr überzeugt und in Atem gehalten. Der Sprachstil ist flüssig, bildreich und eloquent. 

Auch wenn der Fokus für mich noch weniger auf dem Anteil des Familienromans hätte liegen und der Anteil des Politthrillers noch rasanter hätte sein können, zeigt die Autorin Schritt für Schritt wie zerbrechlich unsere Demokratie ist. Eine Demokratie, die für uns so selbstverständlich ist, dass wir vergessen könnten, auf sie Acht zu geben. Der Roman ist damit nicht nur hochaktueller Politthriller, sondern vor allem auch eines: Denkanstoß und Mahnmal, damit sich die düstere Vergangenheit vom Deutschland des 20. Jahrhunderts nicht noch einmal wiederholt.