Rezension

Ebbe, Blut und edle Austern - Luc Verlains 3. Fall

Winteraustern - Alexander Oetker

Winteraustern
von Alexander Oetker

Bewertet mit 4.5 Sternen

In "Winteraustern" von Alexander Oetker löst Luc Verlain seinen dritten Fall, der dieses Mal mit der Austernfischerei im Bassin von Arcachon, der Acquitaine im Südwesten Frankreichs zu tun hat. Verlegt wurde der spannende Krimi aus dem benachbarten Frankreich bei Hoffmann und Campe (TB, broschiert, 2019).

Ich habe mich sehr auf den neuen Fall von Luc Verlain gefreut, da ich beide Vorgänger mit Interesse und oftmals einem Schmunzeln auf den Lippen gelesen habe - und wurde auch hier nicht enttäuscht:

In der Vorweihnachtszeit herrscht bei den Austernfischern in der Acquitaine Hochkonjunktur, da die Franzosen Weihnachten mit Austern essen gleichstellen (was ich auch nicht wusste). Der Verkauf zu dieser Zeit in ganz Frankreich ist maßgeblich für das Überleben der einzelnen Austernfischer, deren Existenz nur dann gesichert ist, wenn sie viele Austernbänke besitzen - wie Bertrand Chevalier - der unumstritten "der Hai unter den Fischen" ist und alle kleineren Bänke aufkauft, die für die Besitzer nicht mehr rentabel sind. Luc und sein alter, todkranker Vater wollen eine Tour durchs Bassin unternehmen, die damit endet, dass ein kleiner Austernfischer, Monsieur Lascasse, hinterrücks überfallen wird und gerade noch einen Notruf an die Küstenwache (die auch die Austern bewacht) abgeben kann, bevor die Flut ihm den Tod durch Ertrinken beschert. Doch es sollte noch schlimmer kommen; unweit der Stelle, an der Lascasse ins Boot gehievt wird, entdeckt Luc zwei Männer, die auf einer Sandbank wie an einem Totempfahl angebunden sind - und wie sich herausstellt, nicht mehr am Leben sind. Wer hat Pierre Lascasse überfallen und zwei junge Männer, die angesehenen Austernfischerfamilien angehören, getötet?

Dieser spannenden Frage widmet sich Luc mit seiner Partnerin Anouk wie auch dem Kollegen Etxeberria und der Leser lernt Licht und Schatten bei der Austernfischerei zu unterscheiden: Es ist sehr viel Arbeit und dauert einige Jahre, bis eine Austernzucht für den Verzehr geeignet ist - Umwelteinflüsse spielen eine Rolle, der Klimawandel, der Bakterien und Viren an den Muscheln fördert und ein Betrieb nur gut davon leben kann, Austern zu züchten, wenn er ein großeres Reservoir besitzt: Die kleinen, aber qualitativ sehr hochwertig arbeitenden Austernfischer sind ständig einer existenziellen Bedrohung ausgeliefert, worüber sich Bertrand Chevalier zumindest freuen kann, da er diesen dann ihre Austernbänke mit Freuden abkaufen kann, wie er es bei Lucs Vater ebenfalls getan hat. Dieser spielt hier eine sehr berührende Rolle, da er - schwerkrank - dennoch in die Ermittlungen einbezogen ist, die Toten identifizieren kann (er war einer der ältesten Austernzüchter im Bassin) und auch praktisch von Nutzen ist, in dem er nochmal in den Genuss kommt, ein Boot zu steuern. Hätte Chevalier ein Motiv gehabt?

Dies muss der Leser selbst in diesem stimmigen, spannenden, atmosphärischen Kriminalroman nachlesen, da ich natürlich an dieser Stelle nichts verrate: Der Schreibstil von Alexander Oetker gefällt mir sehr: In seinen Beschreibungen der Acquitaine, dem Südwesten Frankreichs, liegt eine gehörige Portion Liebe zu diesem Landstrich, "in der der Mond und die Gezeiten im Wechselspiel das Leben bestimmen", den Salzgeruch, die Algen riech- und spürbar machen. Auch Arcachon mit seinen Sehenswürdigkeiten sind mit Sicherheit eine Reise wert!

 

Besonders gefällt mir, dass hier auch ein Stück Zeitgeschichte aufgegriffen wurde, die Terroranschläge von Paris mit vielen unschuldigen Opfern sollten nicht vergessen werden (und haben folgerichtig Luc zeitweise in Paris polizeilich als Commissaire de Police Nationale arbeiten lassen, der, einer der besten Leute, erst nach dieser Zeit wieder ins Acquitaine zurückkehren konnte. Er hatte sich wegen der Erkrankung seines Vaters aus Paris ins Acquitaine versetzen lassen, um Zeit mit ihm zu haben). Dies macht den Kriminalroman auch sehr menschlich; abgesehen davon, dass es natürlich (so nebenbei) immer mal um die Beziehung zwischen Luc und Anouk geht. Ob Letztere den Karrieresprung machen wird und nach Paris geht? Mit Sicherheit wissen wir nur, dass es kurz vor Weihnachten von ihr "recht frohe Kunde" gibt...

 

Ich freue mich auf einen weiteren Fall von Luc Verlain und empfehle "Winteraustern" gerne KrimileserInnen weiter, die Spannung, Atmosphäre, "menscheln" und Frankreich mögen; es ist eine Ode an den wundervollen Südwesten Frankreichs und der wendungsreiche Fall endet anders als gedacht!

Von mir begeisterte 4,5* und 93° auf der "Krimi-Couch".