Rezension

Edna O'Brien - Das Mädchen

Das Mädchen - Edna O'Brien

Das Mädchen
von Edna O'Brien

Bewertet mit 5 Sternen

Gerade noch ist die Welt der Schulmädchen in Ordnung, doch von einer Sekunde auf die nächste ist nichts mehr so wie es war. Die Milizionäre von Boko Haram überfallen sie und bringen die Schülerinnen in ein Camp im Dschungel. Dort erwarten sie Misshandlungen, Vergewaltigungen, Beschimpfungen und Verachtung. Sie sollen bekehrt werden, konvertieren zum rechten Glauben und Kindersoldaten produzieren für den Kampf der Gotteskrieger. Maryam und Buki sind zwei von ihnen, die die Qualen erdulden müssen, innerlich sterben, um das, was man ihnen äußerlich antut, aushalten zu können. Gemeinsam gelingt ihnen die Flucht und mit Maryams Tochter Babby begeben sie sich auf den langen und beschwerlichen Weg nach Hause. Die Mädchen sind nicht mehr, wer sie waren und auch die Überlebenden ihrer Dörfer sehen sie nicht mehr als die Töchter, die ihnen einst gestohlen wurden.

 

Edna O’Brien verarbeitet in ihrem Roman das Schicksal der 276 Chibok Mädchen, die im April 2014 von Boko Haram entführt wurden, was weltweit für Aufsehen gesorgt hatte. Sie schildert unverblümt das, was sie in der Gefangenschaft erleben, was sowohl die physischen Misshandlungen aber auch die psychologischen Indoktrinationen mit ihnen tun. Viele der Mädchen bleiben namenlos, beispielhaft für das Schicksal vieler folgt die Erzählung Maryam, die trotz aller Widrigkeiten einen Weg findet, die Situation auszuhalten, weiterzukämpfen und nicht aufzugeben, sondern auf den Morgen und einen besseren Tag zu hoffen.

 

„Es liegt nicht in unserer Macht, etwas zu ändern“, sagte sie (...).

„Warum nicht?“, fragte ich.

„Weil wir Frauen sind.“

 

Gerade wurde global der Weltfrauentag gefeiert, die Lebenswelt der nigerianischen Mädchen und Frauen ist weit davon entfernt, ihnen Rechte oder gar Gleichberechtigung einzuräumen. Die Grausamkeiten, die Maryam in Gefangenschaft erleidet, sind nur ein Teil der Erzählung. Nach ihrer beschwerlichen und gefährlichen Rückkehr muss sie erleben, dass sie auch in ihrem Heimatort, ja sogar in ihrer eigenen Familie nicht mehr wirklich willkommen ist. Man nimmt ihr ihr Kind weg, das das Blut des Teufels in sich trägt und macht Maryam selbst mitverantwortlich für das, was man ihr angetan hat. Die Umkehr des Opfers zum Täter ist fast noch perfider als die Gräueltaten der Entführer.

 

Bisweilen könnte man beim Lesen den Glauben an die Menschheit verlieren, so wie eine der Figuren resigniert feststellt, dass die menschliche Natur teuflisch geworden sei und die Welt nicht mehr die sei, die es mal gab. Aber Edna O’Brien liefert auch die Gegenbeispiele, Buki, die Maryam bei der Flucht nach Kräften unterstützt, der Hirtenstamm, der sie temporär aufnimmt und beschützt und letztlich die Nonnen, die sie und ihr Kind so annehmen, wie sie sind. Maryam fühl sich bisweilen innerlich tot, von jedem Lebenswillen verlassen und doch bleibt am Ende Hoffnung, dass sich alles zum Guten wenden kann. Auch wenn Maryams Mutter nicht an die Macht der Frauen glaubt, ist es aber vielleicht die nächste Generation, die vor dem Hintergrund ihrer eigenen und auch der kollektiven Erfahrungen die Welt zu einem besseren Ort verändern wird können.