Rezension

Eggers Rückeroberung meiner Aufmerksamkeit

Weit Gegangen - Dave Eggers

Weit Gegangen
von Dave Eggers

Bewertet mit 4.5 Sternen

Ich wäre für dieses Buch vermutlich nicht so weit gegangen, aber da es mir praktischerweise in die Hände fiel, bin ich über meinen Schatten gesprungen und las es. Der Circle und Bei den wilden Kerlen haben bei mir nicht gerade Begeisterungsstürme ausgelöst, aber Eggers hat mit diesem Werk mein Regal zurückerobert.

An wahre Begebenheiten angelehnt, erzählt der Autor hier die Geschichte des kleinen südsudanesischen Jungen Achak Deng, der in die Bürgerkriegsunruhen hineingezogen und schließlich mit dem Überfall auf sein Dorf von dort vertrieben wird. Zunächst flieht er nach Äthiopien, später dann nach Kenia. Von dort aus wird er in ein Hilfsprogramm aufgenommen und siedelt schließlich in die USA um.
In Atlanta, wo der inzwischen erwachsene Achak mittlerweile wohnt, erleben wir einen Raubüberfall auf ihn in seiner Wohnung, und die zwei darauffolgenden Tage im Krankenhaus und auf seiner Arbeit mit. Aus dieser Perspektive spricht er in Gedanken zu seinem jeweiligen Gegenüber und lässt sein bisheriges Leben revuepassieren.

Raffiniert konstruiert fiebert man also in zwei Welten und Zeitebenen um die Entwicklung und Entscheidungen dieses jungen Mannes mit und ganz nebenbei bekommt man einen Einblick in den Kosmos eines Flüchltings, der zwar hier den Sudan und die USA betrifft, aber stellvertretend für so viele Konfliktgebiete auf der ganzen Welt stehen könnte. Gleichzeitig offenbart sich das Ausmaß an Streitigkeiten der verschiednen Interessengruppen, sowohl auf politisch-wirtschaftlicher, aber auch auf Stammes- und Völkerebene, was sich im engen Lagerleben als nicht hilfreich erweist.

Die Trennung Südsudans vom Rest des Landes hat sich inzwischen vollzogen, aber das Buch rückt noch einmal die Ereignisse, die diesem Bruch viele Jahre vorausgegangen sind, in den Mittelpunkt. Der persönliche Leidensweg Achaks, seine Flucht, nicht nur vor den Feinden , sondern auch vor den Gefahren des Buschs und der Wüste, macht diese humanitäre Katastrophe, die uns vielleicht nur als nüchterne Nachrichtenmeldung erreicht hat, greifbar.

Achak verbrachte viele Jahre in Flüchtlingslagern, wurde dort neu sozialisiert, baute sich ein Leben auf und hoffte doch die ganze Zeit auf eine Rückkehr in seine Heimat. Gerade als klar wird, dass seine Eltern überlebt haben, bekommt er die Chance von den USA aufgenommen zu werden. Ein Anruf bei seinem Vater bekräftigt ihn in seinem Entschluss zu gehen, da scheinen die Ereignisse des 11. September 2001 seine Pläne zu durchkreuzen...

Vielschichtig, spannend und doch sehr persönlich, hat Eggers hier literarisch zusammengefasst, was sich millionenfach an vielen Orten wiederholt und nur durch Kenntnis und echte Toleranz etwas menschlicher gestalten lassen könnte, aber in seiner Komplexität oft zum Scheitern verurteilt ist. Weit Gegangen hat mich über Tellerränder schauen lassen und wird mir hoffentlich noch lange im Gedächtnis bleiben.

Kommentare

wandagreen kommentierte am 06. Dezember 2019 um 18:00

So ist er, der Herr Eggers. Man darf ihn nicht aus den Augen lassen! Auch wenn einem nicht jeder Roman gefällt. Was auch kaum sein kann,