Rezension

Ein abenteuerlicher Krimi-Roman mit hohem Spannungsfaktor

Dunkle Gewässer - Joe R. Lansdale

Dunkle Gewässer
von Joe R. Lansdale

Bewertet mit 4.5 Sternen

Es ist Sommer in Ost-Texas während der Großen Depression. Die sechzehnjährige Sue Ellen fängt mit ihrem Vater gemeinsam Fische. Sie tun dies, indem sie Netze mit grünen Walnüssen ins Wasser hängen. Als sie die Netze wieder einholen, hat sich in einem davon eine Leiche verfangen: Es ist die gleichaltrige May Lynn Baxter, an deren Füßen eine Nähmaschine gebunden wurde. Niemand interessiert sich für den Mord oder das tote Mädchen. Sie wird würdelos auf einem Armenfriedhof beerdigt und nicht mal ihr Vater ist da, weil ihn niemand vom Tod des Mädchens in Kenntnis gesetzt hat. Sue Ellen, ihre farbige Freundin Jinx und der homosexuelle Terry beschließen dies nachzuholen. Als sie bei der Hütte ankommen, treffen sie May Lynns Vater nicht an, finden aber ihr Tagebuch und darin eine Art Schatzkarte. Für die drei Freunde beginnt eine abenteuerliche Reise immer den Sabine River entlang, deren Ziel es ist, May Lynns Asche nach Hollywood zu bringen und dort ein neues Leben anzufangen.

Stil, Leseeindruck:
Dies ist bereits mein drittes Buch von Lansdale und weil ich Lust auf ein besonders gutes Buch hatte, fiel meine Auswahl auf "Dunkle Gewässer". Lansdale ist ein Garant für abenteuerliche Geschichten mit Krimiflair und tollem Schreibstil. Und auch dieses Buch erfüllt diese Anforderungen voll und ganz. Der Spannungsbogen ist klassisch und ich hatte zu keiner Zeit das Gefühl, einen Bruch zu erleben. Die Geschichte beginnt mit dem Leichenfund und entwickelt sich kontinuierlich spannend und rasant weiter. Die Figuren werden wunderbar ausgebaut, stetig und mit viel Geduld. Ihre Herkunft, die Entwicklung und ihre Geheimnisse werden nach und nach enthüllt, so dass der Leser oft einen Aha-Effekt erlebt.

Natürlich wird auch in "Dunkle Gewässer" die Rassenproblematik thematisiert, dies tut Lansdale aber nicht aufdringlich, wie ich finde. Immer mal wieder werden Hinweise darauf in die Geschichte eingestreut. Nicht zuletzt die Rolle von Sue Ellens Freundin Jinx als Farbige führt dem Leser immer wieder die Unterschiede zwischen Schwarz und Weiß zur damaligen Zeit vor Augen.
Jinx ist ein toller Charakter, ich mochte ihre direkte Herangehensweise an alles. Sie ist mutig und hat Herz – eine harte Schale mit weichem Kern – sie steht für ihre Freunde und ihre Ansichten ein und sagt immer, was sie denkt.
Sue Ellen, aus deren Sicht wir die Geschichte erzählt bekommen, hat die Schule abgebrochen, ist aber halbwegs gebildet, einerseits ist sie sarkastisch, andererseits musste sie bereits Vieles im Leben erdulden, was sie vor der Zeit hat reifen lassen. Ihre Gedanken, die entgegen ihrer rotzigen Jugendsprache beinahe poetisch anmuten, offenbaren den Blick auf eine zutiefst sensible Seele, die tief in ihrem Inneren geschützt verborgen liegt.
Und da ist noch Terry, der hübsche und intelligente Junge mit den schwarzen Haaren und den blauen Augen, der ein Geheimnis mit sich trägt und wegen seiner "Andersartigkeit" eine schwere Bürde zu tragen scheint. Ihn mochte ich besonders, denn er hat nicht nur einen wachen Verstand, sondern steht auch konsequent für seine Überzeugungen ein.

Diese drei jungen Menschen, jeder für sich in seiner eigenen kleinen Hölle gefangen und doch nicht allein, weil sie füreinander da sind und alle denselben Traum haben: Sie wollen aus Ost-Texas weg, ihr altes Leben zurücklassen und neu beginnen.
Den Traum May Lynns nach Hollywood zu gehen und dort berühmt zu werden, teilen die Freunde zwar nicht und doch ist es dieser letzte Wunsch, den sie ihr erfüllen möchten, damit auch ihre eigenen Ketten zu sprengen und ein neues Leben in Kalifornien zu beginnen. Der einzige und schnellste Weg für sie ist der Sabine River, der sie nach Gladewater bringen soll. Mit einem Floß begeben sie sich auf die große Fahrt und erleben das Abenteuer ihres Lebens.

So harmlos wie die Geschichte zunächst anmuten könnte, ist sie allerdings nicht, denn die Asche ist nicht das Einzige, was die Jugendlichen mit nach Kalifornien nehmen. Sie stoßen auf die Beute aus einem Bankraub, den May Lynns Bruder begangen hat, und auf eine weitere Leiche. Hinter dem Geld sind schnell noch andere Leute her und zu guter Letzt sogar noch ein legendärer, brutaler Fährtenleser, der seinen Opfern die Hände abhackt. Was scheinbar einem Horrormärchen, das man kleinen Kindern erzählt, gleicht, stellt sich schnell als durchaus wahr heraus und so wandelt sich die Abenteuerfahrt auf dem Sabine River in einen Lauf um Leben und Tod.

Es macht unglaublichen Spaß, diesen Roman zu lesen. Man taucht tief in die 1930er-Jahre ab, spürt und erlebt die Atmosphäre der Landschaft, sitzt mit den Jugendlichen auf dem Floß, am Lagerfeuer oder am Flussufer und möchte gar nicht wieder auftauchen. Lansdale konnte mich einmal mehr überzeugen und ich freue mich schon darauf, weitere Bücher von ihm zu lesen und zu erleben.

"Der Fluss strömte dahin, als wäre nichts geschehen, uns oder jemand anderem. Der Fluss war einfach nur der Fluss. Mir kam plötzlich der Gedanke, dass er wie das Leben war, der Fluss. Man ließ sich auf ihm treiben, und wenn es stark regnete und das Wasser anstieg, würde es auch irgendwann wieder absinken. Hinterher sah vielleicht alles anders aus, aber letztlich blieb alles, wie es war. Er veränderte sich nicht, aber die Menschen schon." (Zitat, Seite 320)

Fazit:
Wer einen abenteuerlichen Krimi mit hohem Spannungsfaktor, einer sehr atmosphärischen Sprache und tollen Charakteren lesen möchte, der kommt an "Dunkle Gewässer" nicht vorbei. Ein weiteres Juwel in meinem Bücherregal und definitiv eine klare Leseempfehlung!