Rezension

Ein absolutes Herzensbuch ...

Niemand weiß, dass du hier bist - Nicoletta Giampietro

Niemand weiß, dass du hier bist
von Nicoletta Giampietro

Bewertet mit 5 Sternen

~~Dieses Buch ist ein richtiges Herzensbuch, das eigentlich mehr als 5 Sterne verdient hätte.
 Es hat mich bestens unterhalten, zutiefst berührt und mehrfach zum Weinen gebracht.

Alles dreht sich um den zwölfjährigen Lorenzo, der von seiner Mutter im August 1942 aus Tripolis (der italienischen Kolonie Libyen) in die ruhigere Toskana nach Siena geschickt wird. Dort soll er bei seiner Tante Chiara, seinem Großvater und deren Haushälterin Cesarina vor dem sich ausbreitenden Krieg in Sicherheit gebracht werden.
 Lorenzos Vater dient trotz einer alten Verletzung an der Front und die Mutter versucht, ihn mithilfe eines Verwandten von dort wegzuholen.
 Zunächst ist Lorenzo sicher, dass er nur die Sommerferien in Siena verbringen würde, doch daraus sollen mehrere Jahre werden, die ihn verändern und für sein gesamtes weiteres Leben prägen.
 Er freundet sich mit dem Nachbarsjungen Franco an, der – genau wie Lorenzo – ein überzeugter Faschist ist. Man ist stolz auf Uniform, Zusammengehörigkeit und Angehörige, die ihren Dienst an der Front leisten.
 Doch trotzdem sind auch zwischen den beiden Kindern und ihren Familien Standesunterschiede bemerkbar: während Francos Eltern einen Krämerladen führen, hat Lorenzo einen Adelstitel.

Wir dürfen hautnah und extrem berührend miterleben, wie aus dem kleinen Faschisten Lorenzo ein mutiger Held des Widerstands wird. Erste Zweifel an der Gesinnung, die ihm jahrelang eingeimpft wurde, zeigen sich, als die Durchsetzung der Rassengesetze immer strenger wird und ein kleines Mädchen brutal der Schule verwiesen wird, nur weil sie Jüdin ist. Spätestens hier merkt Lorenzo auch, dass seine Tante Chiara wohl auch keine so überzeugte Faschistin ist, wie er zunächst dachte. Die Lehrerin kündigt nach diesem Vorfall kurzerhand ihre Arbeit.
 Die absolute Wende folgt, als Lorenzo auf Daniele trifft: er ist Jude – und die beiden werden zu besten Freunden.
 Eines Nachts werden plötzlich alle jüdischen Einwohner der Stadt deportiert. Einigen gelingt die Flucht, was auch daran liegt, dass viele Soldaten großzügig wegsehen und damit zeigen, dass auch sie mit den Gesetzen nicht wirklich einverstanden sind. Doch für Danieles Eltern kommt die Einsicht zu spät, dass so etwas Unfassbares tatsächlich eintreffen könnte. Sie werden nach Deutschland gebracht, während es Lorenzo in letzter Sekunde gelingt, Daniele aus dem Transporter zu retten. Unerwartete Hilfe leistet ihm dabei ein deutscher Offizier, der Mitleid mit dem Kleinen hat.
 Was dann folgt, ist eine extreme Belastung für Lorenzo. Obwohl er selbst nicht genug zu essen bekommt, versorgt er ab sofort noch seinen Freund mit der mageren Verpflegung. Niemand darf wissen, dass er ihn heimlich im Haus versteckt hat und die beiden beweisen einen enormen Einfallsreichtum, um irgendwie an Nahrung zu kommen in den harten Zeiten. Werden sie ihr Geheimnis bis zum rettenden Kriegsende bewahren können?

Der Schreibstil von Nicoletta Giampietro ist einfach wunderbar zu lesen: so atmosphärisch, lebendig, berührend und eindrücklich. Ihren sympathischen Protagonisten haucht sie so glaubwürdiges Leben ein, dass man gar nicht anders kann, als sie sofort ganz fest ins Leserherz zu schließen.
 Ihr ist es sehr realistisch gelungen, die widersprüchlichen Gefühle Lorenzos immer genau auf den Punkt zu bringen. Oft kann man richtig mitfühlen, wenn quasi zwei Herzen in seiner Brust schlagen. Einerseits sind da die alten Werte, die ihm von Kindesbeinen an eingetrichtert wurden, andererseits hat er Augen und Ohren und sieht die Realität um sich herum und was der Krieg mit den Menschen wirklich anrichtet.
 Überhaupt beweisen in dieser Geschichte viele Menschen, dass es doch noch Mitgefühl gibt, obwohl man es oft erst im Nachhinein erfährt und von Leuten, denen man dies niemals zugetraut hätte. Nicht nur Lorenzo ist zwiegespalten und so kommt es zu zahlreichen Situationen, die einfach nur herzerwärmend sind. Überraschungen und schicksalhafte Begegnungen sind an der Tagesordnung und sorgen für durchgehende Spannung.

Das Buch hat mich absolut gefesselt, man mag es gar nicht mehr aus der Hand legen und gleichzeitig möchte man eigentlich nicht, dass es irgendwann endet. Es gibt durchaus erheiternde Szenen, aber größtenteils sind es die emotionalen und tragischen Momente, die einem oft schier den Atem rauben. Je mehr es auf den Schluss zuging, desto weniger konnte ich mich zurückhalten und irgendwann flossen zwangsläufig die Tränen. Vor allem, als wir im letzten Kapitel noch einen Zeitsprung von 21 Jahren machen dürfen, um zu erfahren, was aus all den lieben Figuren geworden ist.
 Ein absolutes Herzensbuch, das ich Lesern jeden Alters nur wärmstens empfehlen kann.