Rezension

Ein anderes Land. Ein anderes Leben.

Kastanienjahre - Anja Baumheier

Kastanienjahre
von Anja Baumheier

Bewertet mit 5 Sternen

Ménage-à-trois und Verpasste Chancen. Das Herz hat seine Gründe, die der Verstand nicht kennt. Manchmal wollte Elise ihr Heimatdorf Peleroich in Mecklenburg am liebsten vergessen. Das lag weniger an dem Ort und seiner salzigen Ostseeluft, sondern vielmehr an Henning und Jakob, zwischen denen sie sich nie hatte entscheiden können. Man erzählt sich, dass der Lübecker Thomas Mann einmal auf der Durchreise in Peleroich gewesen sein soll und auf der Holzbank neben der Kirche gesessen habe. Die Eindrücke hier waren ihm Inspirationsquelle für seinen berühmten Roman 'Der Zauberberg', auch wenn das nie bestätigt werden konnte. Hier wuchs Elise in den 1960er Jahren auf, hier lernte sie Henning und Jakob kennen, die beiden Lieben ihres Lebens. Eine fatale Dreiecksbeziehung voller Geheimnisse – bis Jakob eines Tages spurlos verschwand und bis das Schicksal Elise die Entscheidung abgenommen hatte und sie nach Paris zog. Zwanzig Jahre ist das jetzt her. Zwei Orte gibt es, die für Elise Heimat bedeuten: Paris, wo sie seit über 20 Jahren eine kleine Boutique im Montmartre führt; und Peleroich, das verschlafene Dorf an der mecklenburgischen Ostseeküste. Elise betreibt heute eine kleine Boutique, ihr 58. Geburtstag steht an. Und dann trifft unerwarted ein Brief aus Deutschland ein: Peleroich soll dem Erdboden gleichgemacht werden und das Geheimnis um Jakobs Verschwinden gelöst werden. Der anonyme Absender will sich persönlich erklären. Elise zögert keine Sekunde und bricht mit Marina, einer Freundin, nach Deutschland auf. Als Elise nun nach vielen Jahren in ihr Heimatdorf zurück kehrt, taucht sie tief ein in ihre eigene Vergangenheit; und in die Geschichte von Peleroich, wo ihre Eltern Karl und Christa sich kurz nach Gründung der DDR kennenlernten … Eine packende Familiengeschichte über das geteilte Deutschland und die Mauern in unseren Herzen. Es ist schön zu erkennen, mit welchem Enthusiasmus die Menschen am Anfang an einen neuen, gerechten Staat geglaubt, aber peu á peu ihre Illusionen verloren haben. Und dann haben sie ganz unterschiedliche Wege gefunden, mit der Situation umzugehen. Hier gelingt das Kunststück, authentische Zeitgeschichte zu präsentieren und trotzdem spannende Fiktion zu erzählen. Ein gelungener Roman, der anhand einer Familiengeschichte die DDR-Geschichte spannend und unterhaltsam nahe bringt. Er zeigt eindrucksvoll die Dramatik der deutschen Teilung. 'Kastanienjahre' wird mit jeder Seite spannender. Als Erkenntnis bleibt, die Liebe ist stärker als alle Schwierigkeiten im Leben, wenn man sie zulässt. Dieser Roman erzählt von Geschehnissen, die hoffentlich nie in Vergessenheit geraten. Sehr spannend, sehr traurig und Stoff, der zum Nachdenken anregt. Toll!