Rezension

Ein Attentat, das man nicht begreifen kann

Einer von uns
von Asne Seierstad

Bewertet mit 5 Sternen

Am 22. Juli 2011 explodiert in Oslo eine Autobombe und auf der kleinen Insel Utoya erschießt Andreas Behring Breivik 69 Menschen. Insgesamt sterben an diesem Tag 77 Menschen. Zuerst glauben alle an islamistischen Terror, doch schnell stellt sich heraus, dass der Attentäter ein Norweger ist. Nun muss sich ein Land, das als tolerant und fortschrittlich gilt, die Frage stellen, wie konnte es soweit kommen? Warum mussten so viele Menschen sterben, welche Auswirkungen wird dieses Attentat auf das Land haben?
Die Autorin Asne Seierstad versucht in diesem Buch ein Bild des Täters zu geben. Seine Vergangenheit, sein Elternhaus und sein beruflicher Werdegang werden durchleuchtet. Seine extremen politischen Ansichten wuchsen in vielen Jahren heran und gipfeln am 22. Juli 2011. 
Natürlich liegt das Augenmerk auf dem Attentäter, doch in diesem Buch bekommen auch die Opfer Platz. Besonders 3 gute Freunde und eine junge Frau aus Kurdistan werden in den Mittelpunkt gerückt. Ihr Leben, ihre Familien und ihre Leidenschaften stehen stellvertretend für alle Opfer. Es wurden nicht nur 77 Menschen getötet, sondern damit veränderte sich das Leben von unzähligen anderen. Auch die Überlebenden erzählen von ihren traumatischen Erlebnissen. 
Das Gerichtsverfahren ca. 1 Jahr später bildet im Buch den Abschluss. Die Taten an sich stehen niemals im Zweifel, jedoch herrscht keine Einigkeit über den Geisteszustand von ABB. Ist der Mann einfach verrückt oder böse bis in die Knochen? 
Das Buch entstand aus Berichten der Polizei, Zeugenaussagen, Gesprächen und Interviews. Die Autorin recherchiert vor allem in der Vergangenheit des Täters . Diese zeigt einen Mann, dem ein männliches Vorbild fast völlig fehlt. Denn Anders Vater Jens ist Diplomat und nie wirklich anwesend. Seine Mutter Wenche entstammt einer lieblosen Familie. Mit seiner älteren Schwester Elisabeth verbindet ihn auch nicht besonders viel. Die Familie zieht oft um und er kann keine freundschaftliche Verbindungen knüpfen. Er ist immer auf der Suche nach Anerkennung und Ruhm, die ihm jedoch ständig verwährt werden. 
Die Polizei muss sich schweren Vorwürfen stellen. Sämtliche Notpläne schlugen fehl. Beamte hielten sich nicht an Anweisungen und somit konnte Breivik seinen mörderischen Weg fortsetzen. Kommunikationsprobleme und Missgeschicke pflastern den Weg.
Besonders in Erinnerung geblieben ist mir vor allem bei der Gerichtsverhandlung die Aussage eines Überlebenden, der sich gut auf seinen Auftritt vorbereitet. Er wurde schwerst verletzt und will sich dennoch nicht unterkriegen lassen, obwohl ihm noch viele schmerzhafte Jahre bevorstehen. 
Während der Verhandlung erhält jedes Opfer ein Gesicht und wird erwähnt. Sie sollen nicht untergehen im Auftritt des Täters, der seine Momente nutzt, um die Welt mit seiner extremen Meinung zu vergiften. 
Das Buch gilt als Sachbuch, liest sich jedoch stellenweise wie ein Krimi. Die Seiten rund um ABBs Kindheit und Jugend, haben mir stellenweise die Haare zu Berge stehen lassen. 
Die Schilderungen der Ereignisse am Freitag 22. Juli lassen wohl niemanden kalt. Mit tödlicher Präzision und Kaltblütigkeit zieht Anders sein Vorhaben durch. Als Leserin war es fast unerträglich die sachliche Schilderung zu lesen. 
Ich möchte mich bei Michael aus einer Facebook Gruppe bedanken, der mich auf dieses außergewöhnliche Buch aufmerksam gemacht hat. Es war keine leichte Lektüre, aber jede Stunde des Lesens wert.