Rezension

Ein Aufschrei für die Verlassenen, Misshandelten und Betrogenen

Das Mädchen mit dem Haifischherz - Jenni Fagan

Das Mädchen mit dem Haifischherz
von Jenni Fagan

Bewertet mit 4 Sternen

Der Lebenslauf der 15jährigen Anais ist erschütternd: In einer Irrenanstalt zur Welt gebracht und von der Mutter verlassen, Vater unbekannt, aufgewachsen in unzähligen Pflegefamilien und Kinderheimen, schließlich adoptiert von einer Prostituierten, traumatisiert durch deren gewaltsamen Tod, Drogenkonsum, Kleinkriminalität, frühe sexuelle Erfahrungen. Höhepunkt ist bislang die drohende Einweisung in einer geschlossenen Einrichtung, weil sie eine Polizistin ins Koma geprügelt haben soll. Einstweilen wird sie in einer Besserungsanstalt für schwer erziehbare Jugendliche untergebracht. Doch es kommt noch schlimmer …

 

Viel Handlung gibt es nicht. Wir begleiten Anais wenige Monate während ihres Aufenthaltes in der Besserungsanstalt. Das hinterlässt einen erschreckenden Eindruck vom Zustand in derartigen Jugendhilfeeinrichtungen und zeigt die Ohnmacht des Staates gegenüber schwer erziehbaren Jugendlichen. Das Wenige an Handlung ist zudem noch stark überzeichnet, etwa der permanente Drogenkonsum von Anais. Stattdessen steht die – recht fantasievolle – Gedankenwelt von Anais im Vordergrund – ihre Vorstellung, ein Experiment zu sein, das Objekt einer Reihe von Versuchen, die zeigen sollen, wann ein Mensch zerbricht, sowie die von ihr sogenannten Geburtstagsspiele, in denen sie sich variierende Herkünfte (aus heilen Familien) ausdenkt. Gerade das macht das Buch psychologisch und psychiatrisch recht interessant und lässt darüber nachdenken, ob das Urteil, das andere bereits über Anais gefällt haben, richtig ist, dass sie nämlich unter einem Identitätsproblem leidet und evtl. psychotisch ist. Auf jeden Fall wird deutlich herausgearbeitet, warum Anais so geworden ist, wie sie ist. Die Sprache ist für erwachsene Leser gewöhnungsbedürftig. Vulgäre Fäkalsprache ist an der Tagesordnung. Ein bisschen weniger hätte es auch getan. Ein wenig erinnert mich das Buch an das in den 70er Jahren bekannt gewordene Buch „Wir Kinder vom Bahnhof Zoo“ von Christiane F. Die Thematik hat nichts an Aktualität verloren. An wen sich das Buch wenden will – an Jugendliche? an Erwachsene? – kann ich gar nicht mal sagen. Auf jeden Fall können es beide Personenkreise lesen. Am Ende der Geschichte bleiben Fragen offen.

 

Ein lesenswertes, ungewöhnliches Buch.