Rezension

Ein Ausschnitt ergibt ein ganzes Bild.

Keyserlings Geheimnis - Klaus Modick

Keyserlings Geheimnis
von Klaus Modick

Bewertet mit 5 Sternen

Als Hörbuch gehört. Ich muss aber sagen, dass ich das Printbuch bevorzugt hätte, weil Modick so viele schöne Sätze hat, von denen ich mir gerne welche notiert hätte. Ansonsten: hörenswert.

"Keyserlings Geheimnis“ wird erst zum Schluss enthüllt und ist nicht so tragisch wie gedacht. Einerlei. Darauf kommt es nicht an. Die Figur des Schriftstellers Eduard Graf von Keyserling, (1855 bis 1918), hat der Autor Klaus Modick meisterlich getroffen. Nicht weil Keyserling ganz genau so gewesen ist, wie er ihn beschrieben hat, sondern weil er so, wie geschildert, tatsächlich hätte sein können. Fiktion und Recherche fließen im Roman fast unmerklich ineinander.

Anhand einer Sitzung zu einem Porträt, das Lovis Corinth von ihm in der Sommerfrische anfertigt, heute in der Münchner Neuen Pinakothek zu bewundern, erinnert sich Keyserling an seine späte Jugend auf Schloss Paddern im heutigen Lettland. An seine Jugendsünden. An die Eltern. An seine Liebeleien. An erste Versuche, etwas zu schreiben. An seine Schwestern.

Keyserling war ein begüteter Hallodri. Der an der Liebeskrankheit litt, was schließlich zur Erblindung führte. Warum war er so bindungsunfähig? Man kann die Theorie nachvollziehen, die der Autor aufstellt. Man vermisst  schmerzlich ein Vorwort, das Quellen benennt und das Fiktionale bekennt. Und Daten. Daten. Daten.

Klaus Modick formuliert mit Humor und aussergewöhnlich schönen Bildern: Man könnte ihm ewig lauschen! Man sieht jeden Schauplatz vor sich. Die blühenden üppigen Weiden Kurlands, die schönen Mädels, die stinkenden Zigarren der parlierenden Herren, es raschelt die Seide der Garderoben der Damen. Die Bohemiens der anderen schmarotzenden und leichtsinnigen Schreiberlinge und Künstler seiner Zeit treten auf und ab, werfen sich Grobheiten an den Kopf und zeichnen den zeitlichen Rahmen.

Die Biografie ist ebenso gekennzeichnet, durch das, was sie erzählt wie auch durch das, was sie weglässt. Das Bild der Epoche des ausgehenden 19. Jahrhunderts mit seinen vertrauten Anklängen ersteht subtil und leicht melancholisch vor dem inneren Auge des Lesers. Beinahe sitzt er selber am Tisch der Literaten. Beinahe lässt er selber die Dukaten springen. Doch es fehlt der Schmerz über die Krankheit. Überhaupt der Schmerz eines Lebens. Er ist zart angedeutet. Aber vermutlich spielte er eine größere Rolle, als Modick ihm  zugesteht. Die letzten Jahre kommen überdies viel zu kurz. Und dennoch hat man nicht den Eindruck, man hätte Keyserlings Persönlichkeit verpasst. Manchmal bekommt man durch einen gut skizzierter Ausschnitt den Zugriff auch auf das gesamte Bildnis. Klaus Modick ist ein wunderbarer Autor. Ein Künstler.

Der Sprecher Dieter Bierstedt ist natürlich hervorragend. Dass mir seine Interpretation als eine Spur zu pathetisch erscheint, ist Geschmacksache und rechne ich deshalb nicht an. In den Passagen, in denen Dialekt gesprochen wird oder wenn er Frauenstimmen imitiert, bin ich hin- und hergerissen. Beim Dialekt vor Begeisterung.

Fazit: Fein unterhaltsames Bild von Eduard Keyserling. Biografie gar nicht langweilig. Witzig. Humorvoll. Liebevoll.

Kategorie: Hörbuch. Biografie.
Audiobuchverlag, 2018

Kommentare

Steve Kaminski kommentierte am 19. Juni 2018 um 09:18

Von Modick habe ich einst "Sunset" gelesen über Feuchtwanger im Exil - auch sehr schön!