Rezension

Ein außergewöhnliches Buch über alles, was im Leben zählt und leider so oft vergessen wird.

Es muss dunkel sein, damit man die Sterne sieht - Jenny Bünnig

Es muss dunkel sein, damit man die Sterne sieht
von Jenny Bünnig

Bewertet mit 5 Sternen

Diese "Sterne - Tour" ist ein Lesegenuss.

In halsbrecherischem Tempo, mit Rucksack und Kleiderbündel auf dem Gepäckträger ihres Fahrrads, sauste Ria an einem kühlen, regnerischen Tag durch aufspritzende Regenwasser-Pfützen und fürchtete nur Eines: Zu spät zu kommen, den alten, roten VW Bus zu verpassen, der sie mitnehmen sollte in ein neues Leben, in eine Zukunft, in der sie alles abstreifen wollte, was sie belastete, zurücklassen, was nicht verarbeitet werden konnte. Ihre Großmutter hatte ihr von dem alten Bus erzählt, in dem sie und ein paar Freundinnen starten wollten, die ebenfalls Lösungen für ihre Probleme brauchten, die entweder auf der Suche nach etwas Verlorenem waren oder Begonnenes endgültig abzuschließen versuchten.

Da war als Erstes ihre Großmutter Charlotte, Oma Charlie, die nicht mehr recht wusste, wo der Sinn ihres Lebens geblieben war und ob sie nicht das Wichtigste überhaupt versäumt hatte. Oder ihre Freundinnen Margot und Hildie. Margot war an Krebs erkrankt und der Tumor war ihr Feind, der den Körper schwächte und der Seele große Angst machte, die es zu besiegen galt. Hildie war allein geblieben, ohne Familie, nur eingebettet in die Literatur, umgeben von ihren Büchern, deren Zitate sie begleiteten und deren Protagonisten sie nicht zu verletzen oder zu enttäuschen vermochten. Frau Lensker, die letzte der kleinen Truppe, die Besitzerin des nostalgischen VW Busses war und akribisch die Reisepläne erstellt hatte, wollte an einen Punkt zurück, der damals in ihrem Leben eine so gravierende Rolle gespielt hatte, dass alles anders gelaufen war als es hätte sein sollen.  Und so führte denn die Route für die bunte Reisegesellschaft über die Schweiz nach Italien, von dort aus nach Frankreich und Portugal und nun auch noch nach Spanien, denn Rias Ziel war Barcelona.

Das war eine gewaltige Strecke für einen alten VW und würde Einiges an Zeit beanspruchen, ganz abgesehen von den geplanten "Pinkelpausen", die man einkalkulieren musste, wenn man in einem gewissen Alter war, wie Oma Charlie verschmitzt bemerkte. Und ganz so unkompliziert ist's natürlich auch nicht, wenn man über einige Wochen in einem engen Bus zusammenhocken muss, da läuft schon ab und an mal was aus dem Ruder.... und ein großer Bratentopf mit einem Vogel darin, der auf den Namen "Signore Verdi" hört, macht alles noch komplizierter.

 

Jenny Bünnig hat hier ein hervorragendes Debüt vorgelegt. In flüssiger, angenehmer Sprache nimmt sie uns mit auf die Fahrt einer liebenswerten "Zweckgemeinschaft", die - so gemischt sie auch sein mag - aus wunderbaren Protagonisten besteht. Jede der Frauen berührt uns mit ihrem Charakter, ihrem Schicksal und der so ganz persönlichen Art der Verarbeitung. Ein Kaleidoskop von Gefühlen -  Schmerz und Reue, Zorn, Angst und Liebe und dazu immer wieder aufblitzender, intelligenter Humor - alles hat seinen Platz in diesem Roman, der menschlich und authentisch in der Seele des Lesers ankommt und ihn einbindet in dieses Geschehen, das eigentlich so leicht und nebenher auf der Landstraße rollt und doch so viel Wichtiges verbirgt -  in dem kleinen, klapprigen, unter den Jahren stöhnenden, roten VW Bus.

Das Buch hat mir entspannende, erholsame Lesestunden geschenkt und lenkt den Blick in einer oft zu hastigen, oberflächlichen Zeit wieder auf die Bedeutung menschlicher Wärme und Hilfsbereitschaft, auf Freundschaft und Verständnis füreinander - auf die Sterne, deren Glanz man wirklich oft dann erst am Firmament entdeckt, wenn es rundum dunkel ist.

Für dieses Buch spreche ich gerne eine Leseempfehlung aus.