Rezension

Ein außergwöhnlicher und mitreißender Roman

NOTIZEN EINER VERLORENEN - Heike Vullriede

NOTIZEN EINER VERLORENEN
von Heike Vullriede

Bewertet mit 4.5 Sternen

Sarah – eine junge Frau, getötet durch eine bizarre Maschine, die einem Comic entsprungen zu sein scheint. Unter ihrer Leiche findet er ein rotes Notizbuch, es sind Sarah´s Aufzeichnungen, die die letzten Wochen ihres Lebens bezeugen: Die Notizen einer Verlorenen.

"Ich schreibe dies, weil ich Teil eines Geheimnisses bin. Ein Geheimnis, das mich am lebendigen Leib gnadenlos Zelle für Zelle erdrückt. Ich bin schuldig!"

Gestaltung, Stil, Leseeindruck:
Ein interessantes Cover (hervorragend und passend gestaltet von Timo Kümmel) sowie ein knapper Klappentext machen neugierig und versprechen einen Roman, der anders ist. Nun, ich wurde nicht enttäuscht! Selten habe ich ein Buch gelesen, das mich noch tagelang beschäftigt hat. Dieser Roman geht unter die Haut, wühlt auf und macht nachdenklich.
Da "Notizen einer Verlorenen" im LUZIFER-Verlag erschienen ist, hatte ich zunächst mit einer Horrorgeschichte gerechnet und war umso erstaunter, als ich merkte, dass ich hier mit einer völlig unerwarteten Art des Horrors konfrontiert wurde. Ja, es gibt einige heftige Szenen, bereits das erste Kapitel zeugt davon, und doch gibt es hier weder Monster, noch Mörder oder Dämonen. Oder doch? ...
Kompliment an den Verlag und die Autorin für diese äußerst gelungene Zusammenarbeit.

Heike Vullriede hat einen sehr eindringlichen Schreibstil, einfach und doch stets auf den Punkt. Sie beginnt ihren Roman mit dem Tod der Protagonistin und nimmt dadurch dem Leser von vornherein die Illusion eines positiven Endes. Und es ist genau das, was mich von Anfang an gefesselt hat. Zu wissen, dass Sarah verloren ist aber nicht warum, nahm mich sofort gefangen.

Sarah´s Geschichte beginnt mit ihrem 33. Geburtstag und mit dem Selbstmord ihres Ex-Freundes Jens. Er bringt sich vor ihren Augen um und hinterlässt ihr einen Umschlag mit 2 Briefen: Einen für sie, in dem er sie um Verzeihung bittet, und einen, den sie persönlich zum "Haus der Verlorenen" bringen soll. Sie erfüllt seinen letzten Wunsch und gerät so in den Bann einer Gruppe, die ihre ganz eigene Auffassung von Sterbehilfe hat.
Mehr möchte ich vom Inhalt nicht preisgeben, denn jedes weitere Wort würde zu viel offenbaren. Dieser Roman sollte Seite für Seite gelebt und empfunden werden und es ist besser ohne großes Vorwissen mit der Lektüre zu beginnen, denn nur so kann man sich richtig auf die Geschichte einlassen.

Was macht diesen Roman zu etwas Besonderem?
Die Eindringlichkeit. Sowohl der Inhalt, als auch der Schreibstil berühren mich auf eine ganz eigenartige Weise.
Sarah ist eine junge Frau, die am Leben gescheitert ist. Bereits mit 16 verliert sie ihren Glauben an das Leben und die Liebe.

"Liebe – was ist das? Gibt es Liebe zwischen Mann und Frau wirklich oder ist es nur eine Erfindung?" (Zitat)

"Die Vergangenheit ging mit uns. Ich schritt mitten durch sie hindurch und nahm gleichzeitig die Gegenwart wahr. Derselbe Weg, nur eine andere Zeit. (...) Es war ein Weg, der mir das traurige Gefühl gab, ihn ein allerletztes Mal zu gehen, und ich fühlte mich einsam mit dem Gedanken daran." (Zitat)

Was bleibt nach dieser Geschichte?
Vullriede gibt mit "Notizen einer Verlorenen" zahlreiche kritische Denkanstöße und hebt mit ihrer schonungslosen Offenheit das Tabu rund um das Thema Selbstmord und Sterbehilfe auf.
Die Überzeugung der "Verlorenen", dass jedem Menschen das Recht über Selbstbestimmung des eigenen Todes (sowohl im Hinblick auf den Zeitpunkt, als auch auf die Art) zusteht, ist ein Grundgedanke. Doch wie weit darf Mann oder Frau dafür gehen und wie geht man mit dem konkreten Wissen, dass ein anderer Mensch, sich töten will, um? Es sind ethische Fragen, die Vullriede in ihrem Roman anspricht, doch weder gibt sie Antworten noch weist sie Richtungen.

Sie zeigt mögliche Folgen auf und spricht damit eine stumme Warnung aus: "... der Tod war nicht süß, er war grausam, er stank und nahm nichts von der Schuld einfach mit." (Zitat)

Warum "nur" 4(,5) von 5 Sternen?
Wenn überhaupt, dann gibt es lediglich einige für mich offen gebliebene Fragen zu kritisieren. Es gab aus meiner Sicht ein paar Ungereimtheiten, die der eigentlichen Geschichte allerdings nichts nehmen und daher auch nicht wesentlich stören. Überhaupt sind sie nur aufgefallen, weil ich das Buch mit einer Freundin besprochen habe, die es zeitgleich gelesen hat. An dieser Stelle eine Anregung: Dieses Buch wäre ideal für eine Leserunde, bei der sich die Diskussion ganz sicher ebenso spannend wie die Geschichte als solches, darstellen würde.

Noch ein abschließender Tipp: Das E-Book ist interaktiv und weist auf eine Website zum "Haus der Verlorenen" hin. Diese Seite bietet zahlreiches Zusatzmaterial, vor allem ein Jugendtagebuch von Sarah, das äußerst aufschlussreich ist und ihre Vorgeschichte näher beleuchtet. Anschauen, es lohnt sich!

Fazit:
Ein bewegender und durchweg spannender Roman um ein schwieriges Thema, der aufwühlt und noch sehr lange nachhallt. Dieses Buch vergisst man nicht so schnell und deshalb gibt es eine klare Leseempfehlung von mir.
Heike Vullriede – für mich definitiv eine weitere deutsche Autorin, die auf meiner Leseliste Einzug gehalten hat. Ich freue mich schon auf weitere Bücher von ihr.

Kommentare

Nafreyu kommentierte am 21. November 2014 um 11:27

Schöne Rezi =) Ich finde deinen Hinweis auf die Internetseite gut, denn das Jugendtagebuch hat für mich auch einiges noch mal in einem etwas anderen Licht erscheinen lassen. Aber auch ohne dieses Tagebuch war der Roman einfach nur spannend. Und unsere Diskussion darüber ebenfalls, freue mich schon auf die nächste :*

yvy kommentierte am 21. November 2014 um 16:56

Danke dir. :)

Absolute Zustimmung, ich freue mich schon jetzt auf weitere Bücher der Autorin und natürlich auch auf weitere gemeinsame Leserunden mit dir. ;)