Rezension

"Ein Bahnhof ist nur der Anfang oder das Ende einer Reise ... "

Das Mädchen aus dem Zug - Irma Joubert

Das Mädchen aus dem Zug
von Irma Joubert

Bewertet mit 5 Sternen

Beim vorliegenden Roman „Das Mädchen aus dem Zug“ von Irma Joubert, der im Sommer dieses Jahres im Francke-Verlag erschienen ist, handelt es sich um das erste Buch der Autorin, das ins Deutsche übersetzt wurde. In ihrer Heimat Südafrika und in den Niederlanden sind ihre Bücher Bestseller und wurden bereits mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet. Umso glücklicher schätze ich mich, dass ich eben diesen Roman in einer Leserunde lesen durfte. 

Das Buch, bei dem es sich sowohl um einen historischen Roman, als auch um die Lebens- und Liebesgeschichte zweier Menschen handelt, wurde von Irma Joubert überaus gründlich recherchiert, gerade was die historischen Fakten anbelangt. Spannend und erwähnenswert ist hierbei die interessante Mischung aus Fiktion und Wirklichkeit. Die Autorin wurde zum einen von einer südafrikanischen Geschichte, die sie aus ihrer Kindheit kannte, inspiriert und zum anderen greift sie die Problematik der Adoptionen im Jahre 1948 auf. Fakt ist, dass die südafrikanische Regierung 1948 zur sogenannten arischen Blutauffrischung, die Übersiedelung von deutschen Waisenkindern nach Südafrika veranlasste.

Auf diese Weise hat Irma Joubert in ihrem Roman zwei Geschichten zu einer wunderbaren Erzählung verwoben, die in zwei wechselnden Erzählsträngen geschildert, immer spannend bleibt. Es entstand ein historischer Roman, der auf äußerst gründlichen Recherchen basiert und in einer extrem religiös ausgerichteten Gesellschaft spielt. Der Glaube und die Frage danach, welcher Glaube wohl der "richtige" ist, spielt im Buch eine beständige Rolle. Vielleicht sollte es vordergründig gar nicht unbedingt ein christlicher Roman werden, aber der Aspekt ergibt sich wie von selbst. Durch die Extreme im Roman - auf der einen Seite die Schilderungen des Krieges, auch der schlimmen Nachkriegszeit in Polen/Deutschland und auf der anderen Seite der Kraft der Liebe und des Mitgefühls, die im Roman nie zu kurz kommen. Darüber hinaus handelt es sich aber auch einfach um eine wunderbare Lebens- und Liebesgeschichte zweier Menschen, die durch den herrlich flüssigen, leichten, dabei aber nie oberflächlichen, Schreibstil der Autorin getragen wird.

Der Klappentext:

Polen 1944: Die kleine Gretel hat zwar alles verloren, aber sie ist schlau und lässt sich nicht so leicht unterkriegen. In Jakób findet sie einen Beschützer, der das Mädchen mit den jüdischen Wurzeln nach dem Krieg in einem Adoptionsprogramm unterbringt. Dieses bietet Kindern von SS-Offizieren in Südafrika ein neues Zuhause. Für Gretel, die nun Grietjie heißt, ändert sich vom einen auf den anderen Tag alles. Jahre später gerät ihr Leben völlig überraschend in Turbulenzen und sie muss sich mit Fragen auseinandersetzen, die sie bisher verdrängt hat...

Auf ganz außergewöhnliche Art und Weise gelingt es der Autorin, den Leser in ihre Geschichte eintauchen zu lassen, man springt gerne auf den Zug auf (der Zug, der in diesem Roman eine fortwährend eindrücklich wichtige Rolle spielt – bis zur letzten Seite) und man kann einfach gar nicht mehr abspringen, bevor das Buch nicht zu Ende gelesen ist. Teilweise musste ich persönlich zwar kleine Pausen beim Lesen einlegen, aber das lag einfach daran, dass ich emotional so tief berührt war und für mich selbst eine kleine Gefühlsauszeit brauchte.

Interessant fand ich auch den für diese Erzählung gewählten Schreibstil und die Zeitform. Der ganze Roman ist im Präsens, also in der Gegenwartsform geschrieben, was mich anfangs kurz irritiert hat.  Zudem schreibt Fr. Joubert überwiegend in kurzen Sätzen, ohne großartig ausschmückende Nebensätze zu verwenden – wenn ich ehrlich sein darf, so eher gar nicht den Stil, den ich beim Lesen und auch beim Schreiben bevorzuge. Ich liebe scheinbare Endlossätze mit ausführlichen Beschreibungen – spannend für mich festzustellen, dass es auch anders geht und eine Geschichte trotzdem so eindrucksvoll sein kann.

Mein Fazit:

Die Geschichte von Gretel und Jakób hat mich zutiefst berührt, gefesselt, aber auch sehr nachdenklich gemacht. Speziell Gretels innere Zerrissenheit was ihren Glauben und ihre Zugehörigkeit anbelangt und die schlichte Klarheit, mit denen diese Fragen gestellt und auch beantwortet werden, haben mich ganz tief im Inneren erreicht. Somit lässt mich dieses Buch unheimlich ergriffen, durchaus auch schockiert, sehr nachdenklich, aber auch froh zurück und ich kann mit Sicherheit sagen, dass es ein echtes Lesevergnügen war und ich mit Irma Joubert eine neue Schriftstellerin entdeckt habe, nach deren Werken ich Ausschau halten werde.