Rezension

Ein bedrückender Roman um ein Trauma und alte Schuld; ungewöhnlich schöne Sprachbilder

Pirasol - Susan Kreller

Pirasol
von Susan Kreller

Eine gute Vorstellung, dass sich zwei alte Frauen zusammentun und eine Wohngemeinschaft bilden. Hier aber ist es eine erzwungene, denn die etwa fünfzehn Jahre jüngere Thea macht sich auf dem Friedhof an die Witwe eines Papierfabrikaten, Gwendolin, heran und bearbeitet sie solange, bis diese zustimmt, sie bei sich in der 'Villa Pirasol' aufzunehmen. Obwohl es nicht Theas Haus ist, übernimmt sie dort sofort das Regiment, gegen den Willen von Gwendolin, die aber nicht in der Lage ist, sich durchzusetzen und die am liebsten hätte, dass Thea wieder auszieht, "Thea im knochigen Morgenmantel, Thea mit den kleinen euligen Augen." (21)

Gwendolin fühlt sich ihr gegenüber schuldig und dieses Thema der 'Schuld' zieht sich wie ein roter Faden durch Gwendolins Leben. Traumatische Erlebnisse in der Jugend zur Zeit des Krieges, das Verschwinden beider Elternteile haben bei ihr dazu geführt, dass sie – ganz alleine auf der Welt – nicht in der Lage ist, sich zu wehren und gegen Unrecht zu behaupten, auch dann nicht, als es dringend nötig gewesen wäre, ihren Sohn gegen den offensichtlich sadistisch veranlagten Vater zu verteidigen.

"Sie war ein stummes Mägdelein." (62)

In vielen Rückblenden erfahren wir ihre Lebensgeschichte: vom liebevollen Elternhaus in Berlin, von Hunger und Vergewaltigungsgefahr durch die Russen, von der Rückkehr des Vaters aus dem KZ,

"eine Ansammlung von Knochen, ein schorfiges Gesicht aus Bart und Augenhöhlen, so etwas Ähnliches wie ein Mensch stand da, ein nie gekannter Gestank auf zwei dürren Beinen." (100),

von einer missglückten Heirat, dem Alleinsein und der Unfähigkeit, ihren einzigen Sohn vor dem Vater zu schützen.

Anfangs fragt man sich als Leser, warum sie sich nicht wehrt und aufbegehrt, aber wenn man ihre Geschichte erfährt, kann man verstehen, dass sie noch immer traumatisiert ist von all dem Leid und dem Horror ihrer Jugendzeit. Aber es gibt Grenzen für das, was ein Vater einem Sohn an seelischer Grausamkeit antun kann und da hat sicher eine Mutter die Verpflichtung, einzugreifen.

All das wird nicht mit drastischen Worten oder plakativ erzählt, sondern in ungewöhnlichen Sprachbildern vermittelt, in Vergleichen und Metaphern, die völlig neu und oft ungewöhnlich in der Zusammenstellung sind:

"… dass da jemand doppelt so dünn wie all die anderen Dünnen war." (115), "Wochen waren das aus Schwarz und Jod und Fürimmer" (98).

"Gwendolin musste einzelne Sätze streicheln, so wie der Vater das oft in seinen Büchern getan hatte." (180) Und so wie wir Büchernarren das vielleicht auch tun. Überhaupt spielen Bücher eine gewichtige Rolle in diesem Roman, was alle Bücherfreunde entzückend wird. Da wird z.B. eine melancholische Dichterin erwähnt (Mascha Kaléko) und ihre federleichten Gedichte. "Unten sind sie trüb", hatte der Vater gesagt.

Im Ganzen ist das Buch schwer verdaulich wegen der schrecklichen Vorkommnisse und der Unfähigkeit Gwendolins, sich zur Wehr zu setzen, nicht nur für sich selbst, sondern auch für die, die ihr etwas bedeuten. Zum Schluss dreht sich alles zum Positiven, was mir dann aber etwas zu unwahrscheinlich klang.

Alles in allem ein sprachlich anspruchsvolles, lesenswertes Buch.