Rezension

Ein beeindruckender Roman

Von dieser Welt - James Baldwin

Von dieser Welt
von James Baldwin

Bewertet mit 5 Sternen

»Von dieser Welt« (»Go tell it on the mountain«), 1953 in den USA erschienen (erste dt. Ausgabe 1966 unter dem Titel »Gehe hin und verkünde es vom Berge«), ist ein »reiches, beklemmendes, sprachlich ebenso präzises wie gewaltiges Porträt des Lebens in Harlem in den 30er-Jahren des 20. Jahrhunderts« (Verena Lueken im Vorwort, S. 12).

Während ein Buch wie »Underground Railroad« von Colson Whitehead das Verbrechen der Sklaverei thematisiert und entsprechend die Bedeutung des Verhaltens der Weißen für das Schicksal der Schwarzen zeigt, beschreibt Baldwin weitgehend eine in sich geschlossene, religiös bestimmte Welt der Schwarzen, einer Art christliche Erweckungsbewegung. Es ist viel von Sünde und Rettung die Rede – und von Hass. Es geht weniger um positiv bestimmtes Verhalten, sondern um das Vermeiden der Sünde und ihrer schrecklichen Folgen – es sei denn, man kehrt um zu Gott, genauer: Jesus, und erlangt Verzeihung. Dabei ist diese Umkehr keine Wesensumkehr, die vor allem auch das Verhalten, die Zuwendung zur Welt in der Zuwendung zu Gott betrifft (wie, wenn ich es richtig verstehe, die Teschuwa im Judentum), sondern ein Akt des Glaubens, der religiösen Erweckung, in der die Mitglieder der Gemeinde sich, ganz unten angekommen, verzweifelt, als von Jesus errettet erleben. Der Höhepunkt der Zuwendung zum anderen ist, mit ihm zu beten, ihm zu dieser religiösen Erweckung zu verhelfen, keine mitmenschliche Zuwendung zum anderen, wie er eben ist.

Die Sünde droht z. B., wenn man den Raum der Gemeinde verlässt; ins Kino zu gehen ist Sünde; die Beziehung zu einem Mann / einer Frau vor der Ehe natürlich; eine Nähe, die vielleicht dazu hätte führen können, muss verhindert werden – Sünde ist eine umfassende Kategorie. Eine junge Schwarze, die sich in einen Schwarzen außerhalb ihres Umfelds verliebt und mit ihm wegzieht, die dann als ledige Mutter mit ihrem Kind allein ist, weil ihr Freund, der die Gewalt und Demütigung vonseiten weißer Polizisten nicht erträgt, Selbstmord begeht, diese junge Frau sieht die Sünde als Ursache ihres Absturzes, nicht etwa das Verhalten der Weißen. Die Gewalt und Unterdrückung von Weißen gegenüber Schwarzen, die Bindung der Schwarzen an ihre Vorfahren kommt allein in der Figur dieses jungen Mannes zum Ausdruck sowie, als etwas, das überwunden wird, in der Trance eines sich bekehrenden Gemeindemitglieds.

»Von dieser Welt« erzählt vor allem die Geschichte von John Grimes, der in der Zeit des Romans 14 Jahre alt wird, seiner Familie und der Familien seiner Eltern. Der erste Teil des Romans, »Der siebte Tag«, schildert die Probleme und Hoffnungen Johns, der von seinem Vater, einem Prediger, der sich für von Gott erwählt, für den »Gesalbten« hält, aber seine Kinder schlägt (natürlich als »Gegenmittel« gegen die Sünde), als wertlos und hässlich betrachtet und behandelt wird; warum er John nicht liebt, das wird sich im Verlauf des Romans zeigen. Erzählt wird von Johns Gefühlen, seiner Angst vor Sünde und der Abneigung gegen seine Welt, seinem Wunsch zum Ausbruch und seinen Schuldgefühlen und der Hoffnung, errettet zu werden; erzählt wird vom Vater Gabriel Grimes, der Mutter Elizabeth, den Geschwistern, vor allem dem Bruder Roy, dem Cousin Elisha, dem Leben der Familie und der Gemeinde und der ekstatischen Praxis ihrer Gottesdienste.

Das zweite Kapitel, »Die Gebete der Gläubigen«, bringt dann, verflochten mit dem Geschehen eines Gottesdienstes, der in der Gegenwart des Romans stattfindet, Rückblicke verschiedener Personen: Es gibt die Gebete von Florence (Gabriels Schwester), von Gabriel und von Elizabeth, »mit all ihren Wünschen und Erinnerungen, ihren Ängsten, Selbstvorwürfen und Gewissensnöten« wieder. »Es sind drei in sich geschlossene, aber aufeinander bezogene Seelenanalysen in der Form von Lebensbeichten«, »stilistisch miteinander verknüpft durch den Rhythmus der Erweckungsfeier, den der Autor gedanklich und sprachlich zum Motor der Darstellung macht« (Kindlers Literatur Lexikon). Wobei die »Erweckungsfeier« eigentlich ein Gottesdienst ist, der sich, vorher letztlich nicht absehbar, zur Erweckungsfeier entwickeln wird.

Es ist nicht immer einfach, den »Seelenanalysen« zu folgen – weil das Leben und besonders die Verquickungen von Religiosität und Schuld nicht einfach zu verstehen sind. Alle drei Erwachsenen sind in Zeiten ihres Lebens aus der Religiosität ihres familiären Umfelds und ihrer Enge ausgebrochen, teils stehen sie bei allen Gewissensnöten dazu; teils glauben sie, sich darüber erhoben zu haben, teils versuchen sie vor allem, die Vergangenheit noch in eine gute Entwicklung zu lenken..

Der dritten Teil, »Die Tenne«, strebt dann dem zu, was der Klappentext (nur mäßig zutreffend) damit beschreibt, dass John»einen mutigen Schritt [mache], der nicht nur sein eigens Leben verändert«.

In seiner Darstellung, in der Beschreibung des inneren Erlebens der Personen erreicht der Roman große Intensität, die Figuren gehen den Leserinnen und Lesern nach. James Baldwin hat einen beeindruckenden Roman geschrieben.

Kommentare

FIRIEL kommentierte am 13. Januar 2019 um 08:48

Danke, Steve! Mich hat das Buch auch sehr berührt. Und ich glaube herausgelesen zu haben, dass sich John zu Elisha hingezogen fühlt - damit wäre ja wieder eine schreckliche "Sünde" zu erwarten. 

Steve Kaminski kommentierte am 13. Januar 2019 um 09:36

Stimmt, ja! - Danke für Deinen Kommentar!

Inzwischen habe ich auch den Beale Street Blues gelesen - das Buch hat mir auch sehr gut gefallen: mit einer großen Wärme in der Familie (wozu auch der Freund des Mädchens gehört und dessen Vater) und einem Blick auf die amerikanische Gesellschaft und deren Rassismus.